0112 - Die Drachensaat
Fenster zu klettern. Es war gar nicht so leicht.
Als sie sich dann fallen ließ, war Diana da und stützte sie ab.
»Was machen wir jetzt?« fragte das Girl.
»Zuerst einmal hinter den Schuppen«, schlug Shao vor.
Diana nickte.
Natürlich hatten die Kinder begriffen, dass etwas nicht stimmte. Und sie waren von dem Vorschlag, wegzulaufen, nicht gerade begeistert. Ian meinte: »Aber die kennen wir doch alle. Mein Vater ist auch dabei.« Das war die Tragik. Die Kinder kannten die Menschen aus dem Dorf. Zum Teil zählten ihre Eltern zu den Drachendienern, und Shao brachte es nicht übers Herz, den Kindern klarzumachen, was die Erwachsenen wirklich von ihnen wollten, dass sie von einem Bann befallen waren, der sogar das Töten der eigenen Familienmitglieder nicht ausschloss.
Ein grausamer Gedanke - aber eine Tatsache, der Shao und die anderen ins Auge sehen mussten. »Wisst ihr kein Versteck?« fragte sie.
»Hier?«
»Ja, schnell, wir haben nicht viel Zeit.«
Die Kinder schauten sich an, und auch Diana Redford dachte scharf nach.
»Vielleicht unten am Bach«, meinte ein kleines Mädchen.
»Wieso?«
»Da gibt es Höhlen.«
Shao blickte Diana an. »Stimmt das?«
»Soviel ich weiß, ja. Ich war zwar selbst noch nicht dort, aber die Kinder kennen sich aus.«
»Okay, dann kommt.« Shao gab der Gruppe noch einige Verhaltensregeln, und sie liefen los.
Keiner von ihnen schritt aufrecht.
Sie gingen geduckt weiter und blieben im Schatten des Berghangs. Dann mussten sie die Richtung ändern, denn jetzt ging es bergauf. Wie Shao gehört hatte, befanden sich die Höhlen unterhalb der Brücke, also direkt am Bach.
Hoffentlich waren sie groß genug.
Shao blickte sich öfter um, doch die Verfolger waren nicht zu sehen, da der Schuppen zwischen ihnen und der Gruppe lag. Diana Redford ging neben ihr her. Ihr Gesicht war blass, die Lippen hatte sie fest zusammengepresst. Für sie musste es noch unbegreiflicher sein, dass Menschen, mit denen sie jahrelang zusammengelebt hatte, sich so verändern konnten. Es war nicht zu fassen.
»Woran denkst du?« fragte Shao.
»An Rocco.«
»Deinen Freund?«
Diana nickte. »Ja. Er ist vielleicht schon tot.«
»Nein, Diana, du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Ebenso gut könnte ich das von Suko behaupten oder von John Sinclair. Ich vertraue immer noch auf ihn.«
»Aber Rocco ist kein Kämpfer. Er hat doch keine Erfahrung. Er ist ein Mensch, der sich abgesondert hat.«
»Hat er gehasst?« erkundigte sich die Chinesin.
»Ja«, antwortete Diana.
»Hass ist eine schlimme Sache.«
»Du hast nicht hier gelebt«, erwiderte Diana. »Und du warst nicht dabei, wie sie ihn fertigmachten. Ob du es glaubst oder nicht, aber sie haben ihm des Öfteren den Tod angedroht. Er war ein Außenseiter, ein Fremdkörper, er passte nicht in diese schreckliche Gemeinschaft.«
»Ja, so etwas gibt es«, erwiderte Shao.
Die Kinder blieben stehen, denn sie hatten ihr Ziel erreicht. Dicht vor ihnen befand sich die Brücke. Um sie zu erreichen, mussten sie durch den Bach waten und dann einen kleinen Hang hochklettern. Doch die Brücke war nicht ihr Ziel, sondern die Höhlen.
Shao sah drei.
Die Eingänge lagen nicht frei. Sie waren mit Steinen abgedeckt worden.
Die ersten Kinder begannen bereits die Steine wegzuräumen.
Shao und Diana schauten sich um. Schwach drangen Stimmen an ihre Ohren. Die Männer mussten jetzt den Schuppen erreicht und gesehen haben, dass die Kinder geflohen waren. Shao konnte sich vorstellen, was nun in ihnen vorging.
»Beeilt euch!« rief sie und packte selbst mit an, ebenso wie Diana Redford.
Schließlich war soviel vom Eingang freigelegt worden, dass die ersten Kinder in die Höhle klettern konnten. Wieder waren es die Mädchen, die verschwanden.
Plötzlich rief einer der Jungen: »Guck mal, da oben!«
Shao, Diana und ein paar Kinder hoben ihre Köpfe.
Der Junge hatte ihn gesehen!
Barrabas!
Plötzlich klopfte Shaos Herz schneller. Wenn der Drache sie entdeckte, war es aus.
Sie hatte Mühe, ihre Nerven unter Kontrolle zu halten. »Schneller!« rief sie. »Schneller!«
Shao drückte die Kinder förmlich in die Höhle hinein. Als vorletzte ging Diana Redford. Bevor die Chinesin folgte, warf sie noch einen Blick zurück. Sie sah die Verfolger jetzt deutlicher. Sie standen zusammen und sprachen. Auch das Ungeheuer mit dem Drachenkopf war dabei.
Wahrscheinlich diskutierten sie über einen Plan, wo sie die Kinder am besten suchen konnten. Shao schlüpfte in die enge
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