0112 - Die Drachensaat
für Schritt kämpften wir uns dem Bergkamm entgegen. Ich atmete wie eine Dampflokomotive. Schnaufend stieß ich die Luft aus. Oft trat ich gegen Steine oder stieß mit der Schuhspitze gegen aus dem Boden wachsende Buckel. Manchmal musste ich auch schräg weitergehen, weil der Hang zu steil wurde. Dieser Anstieg hatte schon seine Tücken. Die letzten Yards wurden am schlimmsten. Der Kamm schien kaum näher zu rücken, doch als ich dann oben stand und tief durchatmete, lag das Schlimmste hinter uns. Ich schaute ins Tal.
Myxin kam auch, blieb neben mir stehen und ließ seinen Blick ebenfalls schweifen. Unten lag Gulbine.
Die Häuser waren nur als Flecken zu erkennen und mischten sich mit dem Grau einer hereinbrechenden Dämmerung. Kein Leben spielte sich in dem Ort ab. Mir erschien er wie eine Geisterstadt. Auf halber Strecke lag die Hütte des toten Schäfers. Die Schafe hatten sich nicht in alle Winde verstreut, sondern grasten friedlich am Berghang. Ich suchte Menschen!
Mein Blick wanderte nach links, fuhr hinab in eine Talmulde, und dort glaubte ich auch, Menschen zu sehen, die sich hin- und herbewegten.
Sie hielten sich in der Nähe des kleinen Bachs auf, der über die Bergwiesen schäumte. Aber nicht nur Menschen befanden sich dort.
Plötzlich sah ich wieder den wie einen gewaltigen Vogel wirkenden Drachen, der aus den Wolken stürzte und ganz in der Nähe des Bachs zur Landung ansetzte. Was wollte er dort?
Die Menschen hatten ihn ebenfalls gesehen. Sie liefen auf ihn zu. Etwas musste dort im Gange sein.
»Hast du eine Erklärung?« fragte ich Myxin.
Der kleine Magier schüttelte den Kopf. »Mich hat man nicht eingeweiht.«
Ich schaute weiter. Dabei ärgerte ich mich, dass es so dämmrig war, doch das Licht reichte dennoch aus, um etwas erkennen zu können, was bei mir fast einen Herzstillstand zur Folge hatte.
Bei den Männern befand sich auf einmal eine Frau. Ich hatte nicht gesehen, woher sie gekommen war, doch an den Bewegungen erkannte ich sie genau. Es war Shao!
***
»Jetzt haben sie uns!« wisperte Diana Redford. Jeder hörte die Angst in ihrer Stimme.
Shao sagte nichts. Ihr Verstand arbeitete verbissen. Wie konnten sie sich jetzt noch aus dieser Lage befreien? Sie dachte an die Kinder, die all ihre Hoffnungen auf Shao und Diana gesetzt hatte und die nun dem Drachen geopfert werden sollten.
Vor dem Versteck ertönte ein fürchterliches Fauchen. Dieses Geräusch unterbrach Shaos Gedanken. Der Drache machte auf sich aufmerksam.
Einen Atemzug später fauchte eine Flammenwand an dem Höhleneingang vorbei. Sie war nicht direkt auf die Höhle gerichtet, aber Shao spürte die Hitze, die durch die Ritzen drang. Sie zuckte zurück.
»Wir müssen raus!« flüsterte Diana. Die Chinesin nickte. Ja, es blieb ihnen keine andere Möglichkeit. Barrabas war schlauer gewesen als sie.
Und er hatte auch die Verfolger auf das Versteck aufmerksam gemacht.
Shao hörte ihre Schreie und Stimmen. Beide wurden lauter, ein Zeichen, wie nahe sich die Verfolger bereits befanden. »Raus da!« brüllte jemand.
Diana Redford nickte der Chinesin zu, und Shao wusste, was sie zu antworten hatte. »Wir kommen!« rief sie.
Ein kleines Mädchen begann zu weinen. »Ich will aber nicht«, jammerte es. »Bitte, lasst mich…«
Die dünne Stimme schnitt Shao ins Herz, doch sie konnte nichts für die Kleine tun.
Diana drehte sich um. Sie blickte in blasse, ängstliche Gesichter und streichelte die Wange des Girls.
Da den Männern es wohl zu lange dauerte, räumten sie selbst die ersten Steine weg. Es knirschte und polterte.
Schon bald lag der Eingang frei.
Nun schützte die Kinder nichts mehr.
Shao kroch als erste aus der Höhle.
Die bewaffneten Männer hatten einen Halbkreis gebildet und ihre Gewehre auf den Höhleneingang gerichtet. Für einen unendlich langen Augenblick hatte Shao das Gefühl, die Kerle würden schießen, doch dann atmete sie auf.
Hinter den Männer hockte der Drache.
Eine grausame stumme Drohung, gefährlich anzusehen und der personifizierte Tod.
Shao hatte plötzlich Angst. Sie wollte etwas sagen, doch sie brachte keinen Ton hervor. Der Drachenmensch trat vor. Nun erkannte Shao ihn.
Es war Cutler, der Mann, der sie in Gulbine empfangen hatte.
Er trug keine Waffe, aber sein hässlicher Schädel war Drohung genug.
Einen Schritt vor Shao blieb er stehen, öffnete sein Maul, und die Chinesin zuckte unwillkürlich zurück. Cutler griff zu.
Er packte Shao und schüttelte sie durch.
»Barrabas
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