012 - Das Schloß des Schreckens
nichts. Vom Äußeren her erinnerte er sie an Dean Warren.
Glorya Glanton schloss die Augen. Sie spürte, wie das Etwas, das schon die ganze Zeit tief in ihrem Unterbewusstsein gelauert und ihre Handlungen bestimmt hatte, an die Oberfläche ihres Bewusstseins kam und alles andere auslöschte.
Sie hörte noch Daves erstaunten Ausruf: »He, Baby, du wirst ja ganz kalt!« Dann stürzte sie sich auf ihn. Vor Schrecken starr, sah er in die toten Augen der schönen blonden Frau. Tief in diesen Augen schien etwas zu leben, schwärzer noch als die Pupille.
Die kalten Hände fanden Dave Dentons Kehle. Er röchelte, rang nach Luft. Seine Gegenwehr blieb ohne Erfolg. Den dämonischen Kräften, die Glorya Glanton beherrschten, hatte er nichts entgegenzusetzen. In den letzten Augenblicken seines Lebens sah Dave Denton noch, wie sich Glorya Glantons Lippen seinem weit aufgerissenen Mund näherten.
Er spürte ihre kalten Lippen und dann nichts mehr, nie mehr. Der Ghul saugte seine entschwindenden Lebensenergien in sich auf. Glorya Glantons mörderischer Hunger war endlich gestillt, wenn auch nur für kurze Zeit.
***
Sevilla. Die farbenprächtige, bunte, von Leben erfüllte Stadt am Guadalquivir. Eine Stadt wie ein Stierkampfplakat, so prächtig und heroisch. Ihre Mauern waren von Geschichte erfüllt. In Sevilla waren das Grab des Kolumbus, der Alkazar und der maurische Königspalast. Welten trennten die verwinkelte Altstadt mit ihren prächtigen, altertümlichen Bauten von den modernen Industrievororten.
Dean Warren und Elvira Saba erreichten die Stadt einen Tag nach den schrecklichen Geschehnissen in Tarifa.
Die Zeitungen waren voll von dem Mordanschlag einer Terrorgruppe auf die Station der Guardia Civil.
Aufgrund der schlechten Beschreibung des Hotelbesitzers wurde ohne viel Aussicht auf Erfolg nach Dean Warren und Elvira Saba gefahndet.
Von Jerez aus waren sie mit der Bahn gefahren. Nun standen Dean Warren und Elvira Saba in der großen lärmerfüllten Bahnhofshalle inmitten der hastenden Reisenden, hörten die Lautsprecheransagen. Züge kamen an und fuhren ab. Auf den Bahnsteigen spielten sich Szenen des Abschieds und des Wiedersehens ab.
»Miguel Salvador soll an der Universität lehren, sagtest du, Elvira?«
Das hübsche dunkelhaarige Mädchen nickte.
»Vor ein paar Jahren erzählte mein Vater von einem Professor Salvador, den er während eines Fachkongresses in Sevilla kennengelernt hatte. Er erwähnte, dass Salvador an der Universität sei.«
»Nun, dann wird er ja noch dort sein, oder zumindest werden wir Näheres über ihn erfahren können.«
Ein Taxi brachte Dean Warren und Elvira Saba zur Universität. Ein freundlicher alter Pförtner, sichtlich bemüht, einen guten Eindruck bei der hübschen Elvira Saba zu hinterlassen, telefonierte mit dem Sekretariat.
»Professor Salvador lehrt schon seit einigen Jahren nicht mehr«, sagte Elvira Saba. »Der Pförtner will uns seine Adresse geben.«
Der freundliche alte Mann schrieb etwas auf einen Zettel, den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt. Elvira Saba dankte ihm herzlich.
Professor Salvador wohnte in einem schmalbrüstigen Haus in der Altstadt. Dean Warren und Elvira Saba stiegen drei Treppen in einem geräumigen, nach Bohnerwachs riechenden Treppenhaus hoch. In verschnörkelter Schrift prangte Miguel Salvadors Name auf einem Messingschild. Der Titel des Professors stand unübersehbar davor.
Dean Warren klingelte. Er musste mehrmals klingeln, und es dauerte eine ganze Weile, bis die Tür geöffnet wurde. Eine resolut aussehende, stämmige Frau sah Dean Warren über die Sicherheitskette hinweg an.
»Was führt Sie her, Señor?« fragte die Frau.
»Ich möchte Professor Salvador sprechen. Die Senhorita ist die Tochter seines alten Freundes Didier Saba.«
»Der Professor schläft, kommen Sie später wieder.«
Da ertönte eine quengelige Stimme aus dem hinteren Zimmer. Dean Warren konnte die spanischen Sätze und die Antwort der Frau nicht verstehen. Sie löste jedoch die Sicherheitskette. Dean Warren und Elvira Saba traten ein.
Aus dem hinteren Zimmer kam ein hagerer, gebeugter Mann. Er war blass, seine Wangen eingefallen. Er hielt sich vornübergebeugt, und sein brauner Anzug war der abgetragenste, den Dean Warren jemals gesehen hatte. Miguel Salvador sah aus, als sei er federleicht, seine Knochen dünn und zerbrechlich. Er hatte sein Leben lang nur in den Sphären des Geistes gelebt, nie körperliche Arbeit verrichtet, und er war nie dem harten
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