0123 - Wir zertraten die Hafenratten
er dort eine Jugendliebe«, witzelte der Fahrer.
»Halt hier an«, meinte Neville. »Hier kann er nicht sehen, dass ich aussteige.«
»Okay, alter Junge.«
Neville stieg aus. Er tippte mit dem Zeigefinger an die Stirn und brummte.
»Ich mach’s mal gut, Joe.«
»Und ich steige auf meine alten Tage noch mit dir in den Boxring, wenn du weiter so einen Blödsinn quatschst. Viel Erfolg, alter Idiot.«
Das Taxi braüste davon. Neville lächelte. Es war doch eine herrliche Sache, einen Freund zu haben, auf den man sich verlassen konnte.
Neville fühlte sich in seine alten Tage zurückversetzt. Jahrelang hatte er nur Bürodienst getan, jahrelang Akten gewälzt und die Welt draußen nur am Feierabend gesehen. Jetzt aber ging er wieder wie damals einer Spur nach, verspürte wieder wie damals diese innere Erregung, die einen geborenen Jäger immer überkommt, wenn er auf der Fährte des lange gesuchten Wildes ist.
Er schlich sich im Schatten der letzten Häuser weiter. Von einem guten Standort aus, der ihn selbst völlig im Dunkeln ließ, beobachtete er den alten Gangster.
Ginger Ales ging auf ein kleines Gebäude direkt am Ufer des East River zu. Vor der Tür blieb er stehen und bewegte seine Arme. Entweder hat er einen Schlüssel, dachte Neville, oder er schließt mit einem Dietrich auf.
Ginger Ales verschwand im Innern der Bude. Wenig später wurde Licht gemacht.
Er muss einen Schlüssel gehabt haben, entschied Neville. Hätte er sich mit deinem Dietrich Zugang verschafft, hätte er es nicht gewagt, das Licht einzuschalten.
Neville lehnte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand, verschränkte die Arme und wartete.
Seine Gedanken schweiften zurück in die reich bewegte Vergangenheit. Wie oft hatte er damals in den Nächten so herumgestanden wie heute. Oft auch mit der entsicherten Pistole in der Hand und dem Wissen, dass es auf Leben und Tod gehen würde, wenn der Erwartete endlich auftauchen sollte.
O ja, Neville hätte viele spannende Geschichten aus seinem Leben erzählen können, wenn er überhaupt eine Erzählematur gewesen wäre. Geschichten, die zu einem guten Teil inzwischen amerikanische Kriminalgeschichte geworden waren.
Ich werde dieser Bude morgen Nacht einen Besuch abstatten, dachte er. Es interessiert mich doch sehr, herauszufinden, was Ginger Ales da drin sucht.
Dann kamen die ersten Besucher. Zwei Männer fuhren in einem Lincoln vor, stiegen aus, sahen sich sehr gründlich nach allen Seiten um und schritten dann schnell auf das weiß gestrichene Häuschen zu.
Von nun an ging es so weiter. Innerhalb von drei Stunden erschienen sechsmal je zwei Männer, blieben ungefähr vier oder fünf Minuten im Hause und fuhren dann wieder davon.
Ich werde morgen Nacht ganz bestimmt dieses Häuschen unter die Lupe nehmen, dachte Neville, als er Ginger Ales wieder herauskommen sah. Jetzt interessiert es mich noch mehr, was der alte Halunke drin betreibt…
Er hatte einen Entschluss gefasst, der ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre…
***
»Das ist ja eine lausige Bescherung!«, knurrte George Hunter zu uns, nachdem er eine erste flüchtige Besichtigung des Tatortes vorgenommen hatte. »Nach meiner Meinung könnte das Mädchen zum Beispiel seit heute früh tot sein. Also ein paar Stunden, nachdem du ihr die Schlaftabletten in den Whisky praktiziert hast, Jerry.«
Ich nickte emst.
»Ich weiß, George. Deswegen habe ich dich auch gleich angerufen. Du weißt, ' das man mir daraus einen Strick drehen kann, wenn es an die große Glocke kommt.«
»Erstens werde ich es nicht an die große Glocke hängen, zweitens wollen wir erst einmal den Befund des Arztes abwarten.«
Wir steckten uns Zigaretten an und rauchten.
Nach einer Weile erschien unser Doc. Er nahm seine Brille ab, putzte sie abwesend und sagte: »Tja, ich kann beim besten Willen noch nichts sagen. Gewaltsame Einwirkung auf den Körper scheint nicht stattgefunden zu haben. Nicht von außen jedenfalls. Wie es mit Gift steht, kann ich erst bei der Obduktion herausfinden.«
Ich sah ihn an: »Wäre es sehr viel verlangt, Doc, wenn ich sie bitte, die Obduktion noch heute Abend durchzuführen?«
Der Doc setzte sich seine Brille wieder auf.
»Liegt ein besonderer Grund für diese Eile vor?«
»Ja.«
»Okay, dann will ich es tun. Schicken Sie mir die Leiche, sobald sie hier nicht mehr gebraucht wird. Ich bereite schon alles vor.«
»Danke, Doc«, sagte ich.
Er lächelte still.
»Schon gut, Jerry. Wir helfen den Beamten im Außendienst, so gut
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