0128 - Die Hexe aus dem Fluß
einsame Gestalt und rührte sich nicht. Auf irgendeine Art und Weise kam ihr die Gestalt bekannt und vertraut vor. Es war ein Mann, ebenso einsam und verloren in der Ewigkeit der seltsam ausgeleuchteten Ebene wie sie selbst.
Woher kannte sie ihn?
Doch das war noch wichtig? Sie durfte sich nicht um ihn kümmern, mußte sich auf etwas anderes konzentrieren. Ihre Blicke fraßen sich förmlich an dem schwach floureszierenden Bodenbelag fest. Sie ging in die Hocke. Leicht strichen ihre Fingerkuppen über den Boden und zuckten in einer Reflexhaltung wieder zurück. Eiskalt war der Belag. An einem ihrer Finger hatte sich eine Blase gebildet.
Kälteverbrennung!
Sie kam wieder hoch und wunderte sich dabei nicht, an den Füßen keine eisige Kälte zu spüren, die es schaffte, ihr Verbrennungen zuzufügen, weil es der Brownschen Molekularbewegung gleich ist, welcher der sich berührenden Teile die langsamere Vibration besitzt und nur den Unterschied der Molekülschwingungsgeschwindigkeit zur Wirkung kommen läßt. Daß dieses Phänomen widernatürlich war, kam ihr nicht einen Augenblick in den Sinn, obwohl trotz der leichten Plastikstiefel ihre Füße längst zu Eisklötzen erstarrt sein mußten.
Sie waren es aber nicht. Sie nahm es hin, ohne nach den Hintergründen zu fragen.
Unter ihrem Blick veränderte sich der Bodenbelag, fluoreszierte noch stärker und prägte dabei Linien aus. Seltsame Schriftzeichen tauchten vor ihr auf, verschwammen wieder und machten magischen Symbolen Platz. Und über den Symbolen entstand weißlicher Nebel.
Dichter und dichter wurden die Schwaden, senkten sich auf den Boden und verstofflichten sich zu einer riesigen Schlange, die sich wild zuckend auf sie zubewegte.
Sie zeigte keine Angst, eher wissenschaftliches Interesse, auch noch, als die Riesenschlange sie mit dem Kopf anstieß, dabei das Maul aufriß und mit einer langen, wild zuckenden Spaltzunge Witterung nahm. Dann schnellte sich der Schlangenkörper mit einem heftigen Ruck um sie - und verschmolz mit ihr!
Sie war eine einzige Einheit mit der Schlange geworden!
Die Kälte des weißen Nebels machte sich in ihr breit, doch sie fror nicht dabei, fühlte sich eher noch wohl in ihrer Schlangenhaut. Plötzlich wußte sie die Schriftzeichen und Symbole der Schwarzen Magie zu deuten und gehorchte den auf den Boden geschriebenen Befehlen des Dämonenreiches.
Lautlos setzte sie sich in Bewegung.
Sie ging nicht - sie schwebte! Und schwebend näherte sie sich der anderen einsamen Gestalt auf der unendlichen Ebene, die immer deutlicher wurde. Deutlicher wurde auch das Gefühl, diesen Mann zu kennen, in dessen Brust sie ein handtellergroßes Loch erkannte.
Dieses Loch machte ihn verwundbar!
Jetzt regte er sich, weil sie nahe genug herangekommen war, und streckte die Hand nach ihr aus. Wohlwollend und sympathieerregend war diese Geste, zeigte aber keine Wirkung.
Wie eine Viper stieß sie zu, und die langen Giftzähne schlugen in das handtellergroße Loch in der Brust des Mannes.
Im gleichen Moment erkannte sie, wer es war, den sie mit ihrem Viperbiß tötete.
Ein gellender Schrei entrang sich ihrer Kehle.
»Zamorra!«
Ruckartig erwachte sie.
***
Jäh fuhr Zamorra hoch. Der gellende Schrei hallte noch in seinen Gehörgängen wider.
Nicole hatte geschrien!
Kam jetzt doch der Angriff aus dem Unsichtbaren? Die Attacke aus dem Reich der Dämonen, die sich aber nicht gegen ihn, Zamorra, sondern gegen Nicole richtete?
Die dünne Decke flog zurück. Der athletisch gebaute Professor schnellte aus dem Bett, nahm sich gerade noch die Zeit, sich die Pyjamahose überzustreifen, und hechtete durch die Verbindungstür zwischen den beiden Gästezimmern, die sie in dieser Nacht nicht ausgenutzt hatten.
Aufgerichtet saß Nicole im Bett. Weit aufgerissen waren die Augen, mit denen sie Zamorra anstarrte, und in diesen Augen dominierte das Bernsteingelb unglaublicher Erregung.
Zamorras flache Hand traf klatschend und mit äußerster Präzision den Lichtschalter. Die Strahler an der Decke flammten auf und hüllten das Zimmer, bisher nur durch das offene Fenster und die Vollmondnacht matt erleuchtet, in strahlende Helligkeit.
Jede Kontur wurde erbarmungslos von den grellen Lichtkegeln aus der Dämmerung gerissen.
»Nicole!«
Sie war ja noch gar nicht richtig wach, aber da hatte Zamorra etwas gesehen, das auf dem Fensterbord hockte.
Wie in seinem Zimmer war auch dieses Fenster weit geöffnet, um die erfrischende Kühle der Sommernacht
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