0129 - Der Zyklop aus der Hölle
zu, und bevor sie der junge Mann noch daran hindern konnte, drehte sie ihn herum.
Beide packte das nackte Entsetzen.
Auf dem Sessel hockte eine vermoderte Leiche.
Und sie trug das gleiche dunkelblaue Kleid, das auch Alcestes Mutter immer getragen hatte…
***
Das junge Mädchen wankte zurück. Plötzlich drehte sich alles vor seinen Augen, und hätte Manfred es nicht aufgefangen, dann wäre es gestürzt.
Auch er wäre am liebsten weggelaufen, doch seine Beschützerinstinkte wurden geweckt, und er blieb.
Das Bild war wirklich grauenhaft.
Die Tote zeigte sich nicht völlig skelettiert, ein Teil der Haut befand sich noch im Gesicht. Sie glänzte seltsam, als hätte man sie mit einem Öl eingerieben.
Selbst die Augen befanden sich noch in den Höhlen, allerdings als stumpfe, glanzlose Klumpen.
Die knochigen Hände lagen auf den Lehnen. Zum Teil war an den Fingern das Fleisch verwest, und die blanken Knöchel schauten daraus hervor. Manfred sah auch die grauen, strähnigen Haare und die Spinnweben, die sich vom Haaransatz bis über die Stirn zogen, wo sie an der Nase endeten.
Der junge Mann war käsig geworden. Solch ein Bild ging auch über seine Kraft. Die Knie zitterten. Nie hätte er damit gerechnet, so etwas vorzufinden. Am liebsten wäre er weggerannt, doch er spürte den weichen Körper seiner Freundin im Arm und wurde an sein Verantwortungsbewußtsein erinnert.
Er mußte Alceste mitnehmen, denn daß ihr Vater die Frau auf dem Gewissen hatte, war ihm längst klar. Keinen Tag länger durfte Alceste bei diesem Teufel bleiben.
Sie hatte ihr Gesicht an seiner Schulter vergraben. »Laß uns gehen«, hauchte sie. »Weg von hier…«
»Ja, Liebling, ja…«
Einen letzten Blick warf Manfred noch auf die grausige Gestalt, und er hatte das Gefühl, als würde ihn der halbverweste Schädel lüstern angrinsen.
Dann drehte er sich um.
Die beiden jungen Menschen stolperten aus dem Zimmer. Erst im Flur holten sie wieder tief Luft und wandten sich nach links, wo es zur Tür ging.
»Ich nehme nur noch einen Mantel mit«, sagte Alceste mit kaum zu verstehender Stimme und ging zu den in der Wand eingelassenen Haken, wo ein paar Kleidungsstücke hingen.
Manfred wandte sich bereits zur Tür, doch nach einem Schritt blieb er abrupt stehen.
Vor der Tür stand jemand.
Karl Merkens, Alcestes Vater!
***
Ich bekam überhaupt nicht richtig mit, was geschah. Ich merkte nur, wie durch die offene Tür kältere Luft in den Wagen fuhr und der Polo gleichzeitig nach vorn wegsackte.
Plötzlich war keine Kühlerhaube mehr zu sehen, sondern nur brackiges Wasser, auf dem grüne Pflanzenreste schwammen.
Da wußte ich Bescheid.
Der Wachtmeister hatte den Polo in den Sumpf gefahren, und ich sollte elend umkommen.
Dieses Wissen machte mich mobil. Als erstes schlug ich auf den Verschluß des Sicherheitsgurtes, so daß ich mehr Bewegungsfreiheit bekam. Dann drückte ich die Tür auf.
Sofort schwappte Wasser ins Innere des Polos und näßte meine Hosenbeine. Gleichzeitig sank der Wagen nach hinten weg, so daß ich mitten im Sumpf steckte.
Und auf dem Rücksitz lag mein Koffer.
Den mußte ich haben.
Aber der Wagen sank weiter. Raus konnte ich nicht, sondern ich drehte mich und kniete auf dem Vordersitz. Dabei streckte ich meinen rechten Arm aus, beugte mich noch ein wenig weiter vor und bekam den Koffergriff zwischen die Finger.
Mit einem Ruck riß ich ihn zu mir heran. Verdammt, das Ding war schwer, denn in dem großen steckte ja noch der kleine Einsatzkoffer. Ich hievte ihn auf den Fahrersitz.
Inzwischen war der Wagen weiter gesunken. Er schaukelte ein wenig, und als ich einen Blick durch das Rückfenster warf, sah ich in der Ferne eine Gestalt laufen.
Wachtmeister Nese.
Dieser Hundesohn gab Fersengeld.
Wenn ich ihn je zu packen bekam, würde ich ihm ein paar verdammt unangenehme Fragen stellen.
Ich verfiel nicht in Panik, denn nicht zum erstenmal steckte ich in solch einer bescheidenen Lage. Hier gab es nur eins: Ruhe bewahren. Seltsamerweise machte ich mir um meinen Koffer mehr Gedanken als um mich selbst, doch das wurde schnell anders, als der Polo noch ein Stück tiefer sackte und die Sumpfbrühe gurgelnd und schmatzend in das Innere floß.
Ich mußte raus.
Zuerst schwang ich den Koffer aus dem Wagen und legte ihn auf das Dach. Da der Polo ziemlich gerade in die Tiefe sackte, war eine Rutschgefahr kaum gegeben.
Dann kletterte ich selbst aus dem Wagen. An der Regenrinne hielt ich mich fest, verrenkte mir fast den
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