0129 - Nur über meine Leiche
fünfundfünfzig Jahre alt sein, war tadellos gekleidet und machte einen sehr guten Eindruck.
Mister High bat uns an den kleinen Tisch in der Ecke. Als unsere Zigaretten brannten, sagte er:
»Mister Murphy ist erster Buchhalter bei den Bradley-Werken.«
»Die bekannten Bradley-Werke, die Elektronengehime usw. bauen?«, fragte Phil.
»Ja«, bestätigte der Buchhalter.
»Mister Murphy«, fuhr der Chef fort, »gehört den Werken seit fünfunddreißig Jahren an.«
»Ich bin dort gewissermaßen geboren, wenn Sie so wollen«, bemerkte der Buchhalter mit einem feinen Lächeln.
»So kann man’s beinahe bezeichnen«, sagte Mr. High und blickte Phil und mich an. »Sie werden daher verstehen, dass Mister Murphy sich in den Werken auskennt wie kein Zweiter. Er war nämlich nicht nur erster Buchhalter, sondern fingierte außerdem noch als Chef-Stellvertreter. Mister Bradley war häufig unterwegs, und Mister Murphy kannte sich viel besser aus als der Chef selbst.«
»Und jetzt ist Mister Murphy nicht mehr dort tätig?«, fragte Phil.
»Erzählen Sie bitte, Mister Murphy«, wandte sich der Chef jetzt an den Buchhalter. »Sie konnten mir ja vorhin am Telefon nur einige Andeutungen machen.«
Charlie Murphy holte tief Luft, bevor er zu reden begann.
»Ich bin zwar immer noch bei den Bradley-Werken angestellt, aber nicht mehr als erster Buchhalter, geschweige denn als Chef-Stellvertreter. Nach dem Tode Mister Bradleys hätte ich es eigentlich sein müssen, aber…«
»Mister Bradley ist also gestorben?«, fragte ich.
Das Gesicht des Buchhalters verdüsterte sich.
»Gestorben, nun ja, es ist nicht der richtige Ausdruck, aber…«
Seine Stimme zitterte etwas, als er fortfuhr:
»Mister Bradley ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, aber das glaube ich jetzt nicht mehr. Er ist wohl eher…«
Mr. High kam ihm zu Hilfe.
»Mister Murphy vermutet, dass sein Chef ermordet wurde.«
»Ja, davon bin ich überzeugt«, fuhr der Buchhalter erregt auf, »und aus diesem Gründe bin ich hier.«
»Leider ist das noch nicht alles«, sprach Mr. High weiter. »Erzählen Sie bitte, Mister Murphy, wie Sie überhaupt erst auf diesen Gedanken kamen.«
Der Buchhalter hatte sich wieder gefasst.
»Mister Bradley hatte keine Verwandten außer seiner Tochter Patricia. Miss Patricia befand sich seit etwa drei Jahren in einem Internat in der Schweiz, in Lausanne. Als der… hm… Unglücksfall passierte, haben wir sofort ein Telegramm nach Lausanne abgeschickt. Sie kam gerade noch rechtzeitig zur Beerdigung ihres Vaters nach New York zurück. Das war vor drei Tagen. Gestern war sie zum ersten Male im Betrieb und besichtigte das Werk von vorn bis hinten. Das war verständlich, denn sie wird ja als Allein erb in die ganze Last der Verantwortung übernehmen müssen.«
»War schon Testamentseröffnung?«, warf ich ein.
»Nein, die ist erst in vierzehn Tagen«, erwiderte der Buchhalter. »Mister Bradley hat aber keine Zweifel daran gelassen, dass er seine Tochter als Alleinerbin einsetzen würde.«
»Wie alt ist Miss Patricia?«, erkundigte sich Phil.
»Zweiundzwanzig, Mister Decker.«
»Wie kommt es denn, dass Sie jetzt nur einfacher Buchhalter sind? Wer hat denn diese Degradierung veranlasst?«
»Miss Patricia.«
»Hatten Sie Differenzen miteinander?«
»Nicht die geringsten, das ist ja gerade das Unverständliche«, sagte der Buchhalter verzweifelt. »Aber von einer anderen Warte aus betrachtet, ist das gar nicht mal so unverständlich.«
»Wie meinen Sie das, Mister Murphy?«, fragte ich.
»Entschuldigen Sie bitte, meine Herren, wenn ich so in Rätseln spreche, aber ich bin ziemlich durcheinander, das können Sie mir glauben. Es ist ja wohl auch keine Kleinigkeit, wenn man feststellen muss, dass skrupellose Gauner am Werke sind.«
Wir sagten nichts, wir ließen den ziemlich nervösen Mann erstmal ein bisschen zu sich kommen.
»Ich bin überzeugt«, sagte er dann mit entschiedener Stimme, »dass diese Miss Patricia nicht echt ist. Rein äußerlich ist sie ihr gewiss sehr ähnlich, aber eben nur, was das Äußere betrifft. Wahrscheinlich hat man die richtige Patricia Bradley irgendwo unterwegs abgefangen und durch ein Mädchen ersetzt, das ihr nur sehr ähnlich sieht.«
Das war ein schweres Geschütz, dass der Buchhalter Murphy da soeben aufgefahren hatte.
Ich wurde nachdenklich. Welcher Art waren die Motive, die Murphy zu einer solchen Behauptung veranlassten? War es verletzte Eitelkeit? Eifersucht? Und wenn, auf wen? Wer war
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