013 - Der Mann, der alles wußte
Dieser Mann hatte auf Franks Bitte hin zugesagt, die Trauung vorzunehmen und die notwendigen Zeugen zu besorgen.
Mit einem glücklichen Lächeln begrüßte Frank das junge Mädchen, aber das Lächeln verschwand sofort aus seinem Gesicht, als er bemerkte, wie angegriffen sie aussah.
»Wir wollen in ein Lokal gehen«, sagte sie schnell.
»Fühlst du dich nicht wohl?« fragte er ängstlich.
Sie schüttelte den Kopf.
Sie waren fast die einzigen Gäste im Pall-Mall-Restaurant, das um diese Zeit noch ganz leer war.
»Nun sage mir aber, Liebling, wie du so schnell zu diesem Entschluß gekommen bist«, begann er und nahm ihre Hände.
»Das kann ich dir nicht sagen, Frank«, erklärte sie atemlos. »Ich möchte überhaupt nicht darüber nachdenken. Ich weiß nur, daß die Leute Böses gegen dich unternehmen, und ich will es gutmachen, soweit ich kann.«
Sie war so erregt und nervös, daß er sie nicht drängen wollte, seine Frage zu beantworten, obwohl ihre Worte ihm nur noch größere Rätsel aufgaben.
»Wo willst du wohnen?« fragte er.
»Im Savoy. Was muß ich noch erledigen?«
Möglichst kurz erzählte er ihr, wo und wann die Trauung stattfinden sollte und wann sie das Hotel verlassen mußte.
»Wir nehmen dann den Abendzug nach Frankreich.«
»Aber deine Arbeit bei der Bank?«
Er lachte.
»Ach, erinnere mich nicht an die Arbeit«, sagte er überglücklich. »Heute kann ich nicht daran denken.«
Viertel nach zwei wartete Frank in der Sakristei auf Mays Ankunft und sprach mit dem Pfarrer. Die Trauung war auf halb drei angesetzt, und die Zeugen, der Küster und. die Frau, die für die Reinigung der Kirche sorgte, saßen bereits auf ihren Plätzen. Die beiden freuten sich auf das Pfund, das jedem von ihnen versprochen war.
Um halb drei schaute Frank nach der Uhr und trat vor das Portal, um auf die Straße zu sehen. Aber von May war nichts zu entdecken. Viertel vor drei ging er zum nächsten Zigarrenladen und telefonierte zum Savoy. Dort erfuhr er, daß die junge Dame vor einer halben Stunde das Hotel verlassen hatte.
»Sie muß jeden Augenblick kommen«, beruhigte er den Pastor, obwohl ihn innerlich eine entsetzliche Unruhe quälte.
Als die Kirchenuhr drei schlug, wandte sich der Geistliche an ihn. »Es tut mir leid, aber heute kann ich Sie nicht mehr trauen, Mr. Merril.«
Frank wurde bleich.
»Warum denn nicht?« fragte er schnell, »Miss Nuttall ist wahrscheinlich durch den Verkehr aufgehalten worden, oder ihr Auto hat eine Panne gehabt. Sie muß sofort hiersein.«
Der Pastor schüttelte den Kopf, zog seinen Talar aus und hängte ihn in den Schrank.
»Das Gesetz des Landes gestattet nicht, daß Paare nach drei Uhr noch getraut werden. Morgen früh können Sie nach acht zu jeder Zeit kommen.«
Es klopfte an der Sakristeitür, und Frank wandte sich rasch um. Aber nicht May, sondern ein Telegrafenbote trat ein. Hastig riß ihm Merril das gelbbraune Formular aus der Hand und öffnete es.
»Die Trauung kann nicht stattfinden.«
Das Telegramm trug keine Unterschrift.
Viertel nach zwei verließ May das Hotel. Sie wollte gerade in ein Taxi steigen, als jemand die Hand auf ihren Arm legte. Sie wandte sich bestürzt um und sah in das Gesicht Jasper Coles.
»Wohin wollen Sie denn in solcher Eile fahren, May?«
Sie wurde rot und entzog ihm ihren Arm.
»Darüber bin ich Ihnen keine Erklärung schuldig«, erwiderte sie eisig. »Nachdem Sie eine so schreckliche Anklage gegen Frank erhoben haben, will ich überhaupt nicht mehr mit Ihnen sprechen.«
Er schaute sie betroffen an, aber dann lächelte er.
»Einem alten Freund gegenüber dürften Sie ruhig etwas liebenswürdiger sein«, meinte er freundlich. »Erzählen Sie mir doch, wohin Sie fahren wollen.«
Einen Augenblick war sie unentschieden. Sollte sie es ihm sagen oder nicht? Ihre Offenheit siegte.
»Ich lasse mich mit Frank Merril trauen.«
»Das habe ich mir gedacht. In diesem Fall begleite ich Sie aber zur Kirche und protestiere gegen die Trauung.« Er sprach fast heiter, aber sein vorgeschobenes Kinn verriet, daß er fest zu diesem Schritt entschlossen war.
»Was soll das heißen? Werden Sie doch nicht verrückt, Jasper. Ich lasse mich nicht von meiner Entscheidung abbringen.«
»Ich habe Vollmacht von Mr. Minute, für ihn zu handeln. Wie Sie wissen, ist er Ihr gesetzlicher Vormund, und solange Sie noch nicht einundzwanzig Jahre alt sind, können Sie nicht ohne seine Zustimmung heiraten.«
»Nächste Woche werde ich so alt«, erwiderte sie
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