013 - Der Mann, der alles wußte
unseren Erklärungen nicht die vierte Person berücksichtigt haben, die zehn Minuten nach Mr. Merril in einem Auto vor dem Haus vorfuhr. Es steht ja fest, daß auch dieser Mann das Haus betrat, aber ich werde Ihnen hierfür eine glaubwürdige Erklärung geben. Merril hatte eben einen Komplicen, der bisher nicht verhaftet werden konnte, und zwar war das der oft genannte Mr. Rex Holland.
Merril hatte den Mord an Mr. Minute von langer Hand vorbereitet und geplant, weil sein Onkel den vollen Umfang seiner Verbrechen kannte. Aus gewissen Andeutungen Mr. Minutes hatte er geschlossen, daß seine gesamte Zukunft auf dem Spiel stand, wenn er seinen Onkel nicht beiseite schaffte. Er sah in seiner kühlen, überlegenden Weise auch voraus, welche Folgen die Tat haben würde. Es handelt sich hier um den vorzüglich angelegten Plan eines berechnenden Mörders. Merril hatte sogar diese Gerichtsverhandlung einkalkuliert - er wußte, wie sie verlaufen würde, wußte, daß Sie, meine Herren Geschworenen, ihn freisprechen würden. Hierdurch, so sagte er sich, würde er nicht nur die Frau gewinnen, die er liebte, sondern auch in die Lage kommen, über ihr ungeheures Vermögen verfügen zu können.
Sie mögen die Frage aufwerfen, warum er denn eigentlich John Minute erschossen hat. Ich möchte darauf mit einer anderen Frage antworten: Was wäre geschehen, wenn er ihn nicht getötet hätte?
Dann wäre er eben ein ruinierter Mann gewesen und hätte das Haus seines Onkels nicht mehr betreten dürfen. Das Legat im Testament zu seinen Gunsten wäre widerrufen und die Heirat unmöglich geworden, die er seit langem vorbereitet hatte. Er kannte doch die Größe des Vermögens, das Miss Nuttall zufallen sollte. Mr. Minute machte zwei Testamente, und in beiden setzte er dieselbe hohe Summe für sie aus. Das erste der beiden Dokumente wurde von dem Angeklagten selbst als Zeugen unterschrieben. Er wußte auch, daß die Goldmine in Rhodesien, die zur Hälfte John Minute und zur anderen Hälfte Miss Nuttall gehörte, einen großen Wert repräsentierte. Ich möchte sogar behaupten, daß er die Benachrichtigungen und Informationen, die er als Privatsekretär Mr. Minutes in dieser Angelegenheit erhalten hatte, zum Teil unterdrückte und zu seinem eigenen Vorteil ausnutzte.
Was konnte er durch die Ermordung Mr. Minutes gewinnen? Nun, wenn er freigesprochen wird, hat er alles erreicht, was er jemals wollte. All seine Wünsche, seine kühnsten Träume gehen in Erfüllung.«
Ein leises Raunen lief durch den Gerichtssaal. Frank Merril lehnte sich über die Anklagebank und sah zu May hinüber. Ihre Blicke trafen sich, und er bemerkte, wie empört sie über die Worte des Staatsanwalts war. Er lächelte, wandte sich dann wieder dem Redner zu und folgte dessen Ausführungen mit größtem Interesse. In seinen Zügen lag gespannte Aufmerksamkeit, und May betrachtete von weitem sein Gesicht.
»Es wird im Verlauf dieses Prozesses viel auf die Abwesenheit Mr. Crawleys hingewiesen werden, und die Verteidigung wird die Tatsache ausschlachten, daß sich der Sergeant ebenfalls im Haus befand und die Absicht hatte, ein Verbrechen zu begehen. Crawley ist seit der Tat flüchtig und bisher nicht entdeckt worden.
Der vierte Mann, der das Auto fuhr, ist zweifellos ein Komplice Merrils, und zwar der geheimnisvolle Mr. Rex Holland, der von Mr. Totney in Uckfield gesehen wurde und den ganzen Tag in Sussex umherfuhr. Offenbar wollte er im gleichen Augenblick wie sein Verbündeter vor dem Haus Mr. Minutes erscheinen.
Der Chauffeur des Mietautos wird bezeugen, daß Merril vom Bahnhof zum Parktor von Weald Lodge fuhr. Als Merril ausstieg, sah er sich erst nach allen Seiten um, als ob er jemand erwartete. Der Plan mißlang in gewisser Weise, denn der Komplice kam zehn Minuten zu spät. Merril hat dann unter irgendeinem Vorwand die Bibliothek verlassen. Nach meiner Auffassung ist er nicht ins Speisezimmer gegangen, sondern in den Garten. Dort traf er Mr. Rex Holland, und dieser gab ihm die Pistole, mit der Merril dann den tödlichen Schuß abfeuerte.
Die Verteidigung mag ja die Frage aufwerfen, warum Mr. Rex Holland nicht selbst das Verbrechen beging. Darauf kann ich Ihnen verschiedene Antworten geben, die alle höchstwahrscheinlich und auch möglich sind. Mr. Minute wurde aus nächster Nähe erschossen, und aus der Stellung, in der er gefunden wurde, geht klar hervor, daß ihm der Angriff unerwartet kam. Wir wissen, daß er stets in einer gewissen Sorge lebte und deshalb immer
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