0132 - Der Schwarze Graf
Lancone bereits zu schnaufen anfing.
»Das kann ja heiter werden! Wenn man bedenkt, für welchen Hungerlohn wir uns hier rauf quälen müssen! Ich frage mich nur, wie Piecollo das durchhalten will. Hoffentlich muten wir ihm nicht zuviel zu«, bemerkte er skeptisch.
»Nun, er hat sich ja schließlich angeboten,« erwiderte Walther achselzuckend, »und außerdem steckt in dem Alten sicher mehr Energie, als du glaubst.«
Er ahnte nicht, wie recht er damit hatte…
Zehn Minuten später waren beide fast pünktlich am Treffpunkt, der halbverfallenen Behausung Francisco Piecollos.
Prustend ließ Lancone sich ins Gras fallen. »Pause!« rief er lachend. »Ich bin immerhin fünf Jahre älter als du.«
»Befehl ist Befehl, Opa!« grinste Walther und setzte sich neben ihn.
Es herrschte eine merkwürdige, bedrückende Stille hier oben; nur das leise Rauschen des Windes war zu hören. Von Piecollo fehlte jede Spur.
Lancone nahm einen großen Schluck Wasser und wischte sich den Mund ab.
»Er wird unsere Abmachung doch wohl nicht vergessen haben?«
»Ach was, Marco! Der kommt nicht aus den Federn, was denn sonst?« Louis erhob sich und ging zur Hütte hinüber.
»Piecollo!« rief er. Nichts. Keine Antwort.
»Der hat das Zeitliche gesegnet!« rief Lancone aus dem Hintergrund.
Walther lachte kurz auf. »Der nicht, der ist zu zäh. Heh, Francisco!«
Lautstark klopfte er gegen das Holz. Niemand meldete sich. Gerade wollte Louis versuchen, die Tür zu öffnen, als ihn eine schneidende Stimme herumfahren ließ.
»Finger weg!« Piecollos häßliches Gesicht wirkte maskenhaft starr. »Da drin hast du nichts zu suchen.«
»Wo… wo kommst du denn auf einmal her?« stammelte Walther verwirrt. Der Alte war wie aus dem Nichts plötzlich hinter seinem Rücken aufgetaucht. Seine Augen funkelten den jungen Mann heimtückisch an.
»Hört auf mit eurem Geschwätz! Es wird Zeit. Das Wetter wird umschlagen, aber wir können bis dahin oben sein. Los jetzt, der Weg ist weit!«
Erschrocken blickten die beiden Carabinieri sich an. Lancone schluckte schwer.
»Mann, was soll denn das? Beim nächsten Mal - und ich hoffe, es gibt kein nächstes Mal - erschrickst du ehrbare Bürger nicht mehr so sehr, klar?«
»Was wißt ihr zwei denn schon, was Schrecken ist?« erwiderte der Alte kalt. »Aber wer weiß, vielleicht könnt ihr es droben erleben, wenn ihr euren Irren fangt!«
Ohne noch ein Wort zu verlieren, drehte Piecollo sich um und stapfte los.
Die beiden Männer warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Lancone tippte schmunzelnd mit dem Zeigefinger an seine Stirn.
Dann folgten die beiden Uniformierten dem Alten in eine ungewisse Zukunft.
Jeder hing schweigend seinen Gedanken nach, doch keiner kam der furchtbaren Wahrheit nahe…
***
In der Zwischenzeit war auch Bill Fleming nicht untätig gewesen. Er hatte Enzo Torrini aufgesucht, den Polizeikommandanten von Borlezzo.
Schwitzend saß der fettleibige Mann, dessen Figur auf einen allzu gesegneten Appetit hinwies, an seinem Schreibtisch. Er hörte dem Amerikaner kopfnickend zu.
»Nun, Mister Fleming, selbstverständlich steht Ihnen unsere umfangreiche Kirchenchronik zur Verfügung. Sie müssen bedenken, daß sie bereits im zehnten Jahrhundert begonnen wurde und praktisch lückenlos bis auf den heutigen Tag ist. Sie als Historiker dürften eine ganze Menge damit anfangen können. Aber wenn Sie, wie Sie sagen, unbedingt selbst zur Burg hinauf wollen…«
»So ist es.«
»… dann gibt es hier eigentlich nur einen Menschen, der als Führer in Frage kommt - der alte Francisco Piecollo. Sie werden sich allerdings mindestens zwei Tage gedulden müssen, denn er ist gerade mit zwei meiner Beamten unterwegs. Erstaunlicherweise mit dem gleichen Ziel wie Sie, nämlich der Ruine von Alay.«
Piecollo! dachte Bill. Den gleichen Namen hatte ihm schon der Wirt genannt.
»Wann sind die Männer aufgebrochen? Und warum gerade zur Ruine?« fragte er hastig.
»Heute morgen um fünf dürften sie an der Hütte des Alten angekommen sein, denn dort war der Treffpunkt. Ja, und der Grund für dieses Unternehmen besteht darin, daß wir die näheren Umstände des Unfalls der beiden Touristen aufklären wollen. Sie haben doch schon davon gehört?«
»Das habe ich.«
Bill sah auf die Uhr. Die Männer mußten nun seit mehr als vier Stunden unterwegs sein.
»Und dieser Piecollo führt die beiden, sagten Sie?«
»Genau. Er ist sozusagen Fachmann für Alay.«
»Glauben Sie, daß ich die Leute noch einholen
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