0132 - Der Schwarze Graf
gottlob nichts abgekriegt.
»War ich weggetreten?« fragte sie.
»Sieht ganz so aus. Cherie, ist auch alles in Ordnung?«
»Ist noch alles dran, glaube ich. Machte mir nur ein wenig Sorgen um dich. Um mich auch… aber ich muß ja schrecklich aussehen! Himmel, wenn ich daran denke, wie ich mir früher den Beruf einer Sekretärin vorgestellt habe.«
Zamorra lachte lauthals auf. Ein untrüglicheres Zeichen, daß Nicole nichts passiert war, konnte es nicht geben.
Die ganze innere Spannung der letzten Tage war mit einem Male von ihm abgefallen. »Mädchen, wenn das deine einzigen Probleme sind, kann ich dich um deine Nerven nur beneiden! Interessiert es dich eigentlich gar nicht, was uns gerade beinahe ins Jenseits befördert hätte?«
Er wies auf die Stelle, an der vor wenigen Minuten noch ihr Wagen gestanden hatte. Dort war jetzt eine riesige graue Mauer zu erkennen, von der schneidende Kälte ausging.
»Eine Lawine!« stieß Nicole hervor.
»Ja, und was für eine.«
»Zamorra, wie konntest du nur so schnell…?«
Nicole brach mitten im Satz ab, als sie ihm ins Gesicht sah. Sie wußte sofort, daß sie nicht mehr weiterzufragen brauchte. Mit Zamorra war eine Veränderung vor sich gegangen.
In seinen Augen war nun wieder jene wilde Entschlossenheit und jenes Selbstbewußtsein abzulesen, das nicht nur Nicole so an ihm bewunderte.
Er blickte das hübsche Mädchen ganz ruhig an. Dann, nach einer Pause, sagte er fast feierlich: »Beinahe hätte er sein Ziel erreicht. Er muß ungeheure Macht besitzen. Das, was gerade hier passiert ist, geht auf sein Konto. Nicole - bevor dies alles geschah, hatte ich Angst. Die Angst eines Mannes, der nicht mehr an seine Fähigkeiten glaubt. Und jetzt, wo ich weiß, daß ich wirklich Grund habe, mich zu fürchten, tu ich's nicht mehr, denn mir ist vorhin vieles klargeworden. In dem kurzen Moment, in dem ich das Böse um uns herum spürte, habe ich mehr über unseren Gegner und die Vergangenheit erfahren als bisher in meinem ganzen Leben. Ich habe gelesen wie in einem offenen Buch. Nur eine Frage bleibt jetzt noch zu klären, und ich weiß, wo ich die Antwort darauf finden kann.«
»Das klingt alles so furchtbar geheimnisvoll. Ich kann mir nur nicht erklären, warum…«
Nicole kam nicht mehr dazu, ihre Fragen zu stellen, so gerne sie das auch getan hätte. Aus dem wolkenverhangenen Himmel klang ein dumpfes, rhythmisches Klopfen zu ihnen herüber. Sekunden später tauchten zwischen den Wolkenfetzen helle Scheinwerfer auf, die sich auf den bizarren Eismassen der Lawine funkelnd widerspiegelten und die düstere Umgebung in eine farbenprächtige Szenerie verwandelten.
»Na also, da ist ja auch schon unser Taxi!« rief Zamorra erleichtert, denn mit ohrenbetäubendem Lärm setzte der Rettungshubschrauber der Bergwacht auf einem etwas breiteren Stück der Straße zur Landung an, so daß die Schnee- und Staubmassen zu allen Seiten davonstoben.
»Der Mann versteht etwas von seinem Geschäft«, sagte Zamorra bewundernd, als er bemerkte, mit welcher Präzision die waghalsige Landung bei der miesen Sicht erfolgte.
»Ich kann nur hoffen, daß du dasselbe von mir sagen kannst, wenn wir die ganze Sache erstmal hinter uns gebracht haben«, wandte er sich lächelnd Nicole zu. Und die Art, wie er lächelte, ließ Nicole nicht im geringsten daran zweifeln. Noch nicht…
***
Es herrschte an diesem Morgen kühles, klares Wetter. Der tiefblaue Himmel über dem Etschtal war wolkenlos und mit funkelnden Sternen übersät. Aber das fahlrote Leuchten der Berggipfel hoch oben kündigte schon den nahen Sonnenaufgang an.
Die beiden Carabinieri waren bereits eine gute halbe Stunde unterwegs und nun nicht mehr weit von der Hütte entfernt, in der Piecollo hauste. Direkt dahinter ragte das Felsmassiv auf, das ins schier Unermeßliche wuchs, je näher die Männer ihm kamen. Vom Gipfel mußte man an diesem strahlenden Sommermorgen eine grandiose Sicht auf das stille Tal und die bizarren Dolomitenriesen haben.
Die jungen Beamten hatten Proviant für vier Tage im Gepäck; verstaut in einem Rucksack, den sie in halbstündigem Wechsel tragen wollten.
Es war ein weiter Weg, der vor ihnen lag. Ein Weg, den noch keiner von beiden gegangen war.
»Tut dir mal ganz gut, Marco«, flachste Louis Walther mit einem Seitenblick auf die ziemlich füllige Figur seines älteren Kollegen.
»Du hast gut reden, du Bohnenstange!«
Walther schien der schon jetzt steile Pfad nicht das geringste auszumachen, während Marco
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