0133 - Der Mumienfürst
bekommen, sich aus allem herauszuhalten, was Professor Ruiz und seine Gäste betraf.
Professor Ruiz und Zamorra überließen es Nicole, den Wagen auszuladen, und suchten das Studierzimmer auf. Sie war deswegen nicht böse, im Gegenteil. So blieb es Zamorra überlassen, dem peruanischen Kollegen zu erzählen, was geschehen war. Besser gesagt, Zamorra konnte seine Version anbringen, ohne Gefahr zu laufen, daß sich Nicole verriet, falls Ruiz irgendeine verfängliche Frage an sie richtete.
Professor Zamorra gab einen sehr detaillierten Bericht, in dem allerdings Inez völlig fehlte. Er erwähnte Ruiz’ Tochter mit keinem Wort.
Nachdem er geendet hatte, blieb es minutenlang still zwischen beiden Männern. Es war Ruiz, der das Schweigen brach.
»Sehr interessant«, sagte er leise. »Die drei Mädchen haben sie also zu Gesicht bekommen, nicht jedoch meine Tochter. Nun weiß ich nicht, ob ich diesen Umstand positiv oder negativ bewerten soll! Madre de Dios, dann ist also eins der Mädchen geopfert worden! Und das nur, um Ihnen die Macht Pachachutis zu demonstrieren! Und wir wissen nicht einmal, um welches Mädchen es sich handelt. Furchtbar! Barbarisch! Und schließlich Inez! Was ist mit ihr geschehen? Lebt sie überhaupt noch? Oder ist sie…?« Er schwieg, barg das Gesicht in den Händen.
Zamorra kaute an der Unterlippe, überlegte, ob er Ruiz doch sagen sollte, was der Mumienfürst offenbart hatte. Schließlich entschied er sich zu schweigen. Zumindest vorerst.
»Wir wollen nicht gleich das Schlimmste befürchten«, erwiderte er. »Aber vielleicht sollten Sie mir etwas mehr über Pachachuti erzählen, Ruiz! Und über die Riten seiner Zeit.«
Ruiz nickte, stand auf, trat an seinen Schreibtisch, kramte in einer Schublade und kam schließlich mit einem in Leder gebundenen Buch zurück.
Er schlug es auf, blätterte sekundenlang darin, nickte endlich. »Es ist die Reproduktion verschiedener Inka-Schriften sowie mehrerer Kalender. Hier…«, er deutete auf eine aufgeschlagene Seite, »in zwei Tagen!«
Zamorra zauberte einen fragenden Ausdruck in sein Gesicht. »In zwei Tagen?« stellte er sich dumm. »Was ist da?« Natürlich wußte er es, schließlich hatte der Mumienfürst es ja gesagt. Aber er wollte Ruiz nicht beunruhigen.
»Dieser Kalender ist auf die heutige Zeitrechnung umgestellt«, meinte Ruiz. »Demnach findet in zwei Tagen -oder soll ich besser sagen, fand in zwei Tagen - das große Opferfest zu Ehren Intis statt!«
»Aha!« machte Zamorra. »Wenn ich Sie richtig verstehe, ist zu befürchten, daß dann die Mädchen sterben werden.«
Ruiz’ Gesicht verzerrte sich. »Ja. Und da ich vermute, daß sich Inez ebenfalls in Pachachutis Gewalt befindet, wird auch sie…«
Eine energisch wirkende Handbewegung Zamorras ließ ihn verstummen. »Nicole und ich werden versuchen, die Mädchen und Ihre Tochter aus den Händen dieses blutrünstigen Inkafürsten zu befreien, Ruiz! Wir werden morgen und übermorgen abend wieder an der gleichen Stelle sein.«
»Um Himmels willen, Zamorra«, stieß Ruiz hervor, »haben Sie die Warnung vergessen?«
Zamorra lächelte.
»Keineswegs«, lautete seine Erwiderung. »Wenn es Sie beruhigt, Ruiz, ich bin schon mit schlimmeren Situationen fertig geworden. Ich habe ein paar Dinge im Köfferchen, an denen sich der gute Pachachuti seine letzten Zähne ausbeißen wird. Sie glauben also -ich denke, so kann ich Sie interpretieren -, daß Ihre Tochter noch lebt und dem Sonnengott geopfert werden soll. Wie die anderen Mädchen?!«
»Das glaube ich nicht nur, Zamorra, sondern ich bin davon felsenfest überzeugt!«
Nicole betrat das Zimmer und beendete damit zunächst die Unterredung. »Wir sollten schlafen gehen«, meinte sie und gähnte.
»Haben Sie denn gar keine Angst, Ma’moiselle?« erkundigte sich Professor Ruiz in Französisch.
»Bien sûr, M’sieur le Professeur«, gab sie zurück. »Sicher hab’ ich Angst! Warum soll ich das nicht zugeben? Aber ich bin auch genauso neugierig. Und schließlich bin ich nicht allein!« Sie wies auf Zamorra. »Seine Anwesenheit läßt mich die Furcht vergessen.«
Ruiz erhob sich. »Wir haben noch den ganzen Tag Zeit, um uns zu unterhalten! Gehen wir also zu Bett!«
Zamorra war sofort einverstanden. »Ein guter Gedanke!«
Sie trennten sich. Zamorra begleitete Nicole zu ihrem Zimmer. Vor der Tür schmiegte sie sich an ihn und flüsterte: »Ich würde gern dein Bett mit dir teilen, aber unser Gastgeber könnte es in den falschen Hals
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