0134 - In den Klauen der Mafia
Office verschwand ich für ein paar Minuten und holte mir aus dem Archiv die Liste mit den Deckadressen der in New York insgeheim für das FBI arbeitenden Verbindungsmänner.
»Was willst du denn damit?«, fragte Phil.
Ich spannte einen Bogen in die Schreibmaschine und tippte nur einen Satz:
Co an alle V. Erbitten alles verfügbare Material über Mafia schnellstens.
Ich zeigte Phil den Bogen. Die beiden ersten Buchstaben waren einfach eine Abkürzung meines Namens, das V natürlich eine Abkürzung für Verbindungsleute.
»Ich bringe das Ding zu einer unserer Stenotypistinnen. Sie soll Code-Briefe an alle Deckadressen fertigmachen und heute noch rausschicken«, sagte ich. »Dann haben unsere V-Leute morgen im Laufe des Vormittags die Anfrage und wir können, wenn wir Glück haben, morgen Nachmittag schon mit den ersten Meldungen rechnen.«
»Versprichst du dir viel davon?«, fragte Phil pessimistisch.
Ich zuckte die Achseln.
»Auf jeden Fall will ich es versuchen. In der Geheimhaltung war die Mafia immer großartig, das wissen wir. Aber wir wissen auch, dass es eine große und weitverzweigte Organisation ist. Je mehr Mitglieder sie hat, umso eher besteht die Möglichkeit, dass etwas durchsickert. Keine Bande kann so geheim arbeiten, dass nicht doch hier und da etwas von ihr bekannt wird. Und unsere V-Leute haben gute Nasen. Warten wir den morgigen Nachmittag ab.«
Dabei blieb es. Wir gingen essen. Mit dem Ergebnis, das uns der nächste Nachmittag bringen sollte, hatten weder Phil noch ich auch nur im Traum gerechnet.
***
Es mochte gegen elf Uhr sein, als in meiner Wohnung das Telefon klingelte. Ich hatte mich gerade zu Bett gelegt und fluchte über die Störung. Aber was half es, das Biest klingelte mit unbeirrbarer Ausdauer.
Ächzend erhob ich mich wieder und schlurfte ins Wohnzimmer.
»Cotton«, knurrte ich ungnädig in den Hörer.
»Zentrale. Agent Cotton, hier ist ein dringender Anruf für Sie. Von einem gewissen Crosheansk oder so ähnlich. Der Name ist am Telefon schlecht zu verstehen.«
Ich verstand sofort. Crochinsky. Der alte Switchman, der den Mörder am Bruckner Boulevard gesehen hatte. Ein anderer konnte es kaum sein.
»Okay, stellen Sie durch«, sagte ich.
Mit einer Hand fischte ich mir vom Rauchtisch die Zigarettenpackung und ließ ein Stäbchen herausgleiten. Gerade als ich mir Feuer gab, hörte ich die harte Stimme des alten Polen: »Mister Cotton? Spreche ich mit Mister Cotton?«
Seine Stimme klang erregt, hastig, fast ein wenig ängstlich.
»Ja, hier ist Cotton«, sagte ich möglichst ruhig, obgleich auch ich vor Spannung vibrierte. Aber ich wollte ihn nicht noch mehr aufregen. »Was haben Sie auf dem Herzen, Crochinsky?«
»Er ist hier! Sie müssen schnell kommen, Mister Cotton! Ganz schnell!«
Seine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.
»Wer?«, fragte ich, um sicher zu gehen, obgleich ich ahnte, von wem er sprach.
»Der das Kind erschossen hat«, sagte Crochinsky ganz leise.
»Und wo sind Sie?«
»In der Island Bar, Ecke Canal und Essex Street!«
»Bleiben Sie dort, aber versuchen Sie es so einzurichten, dass er Sie nicht von vorn sieht. Ich komme sofort!«
Der Hörer flog auf die Gabel, die Zigarette in den Aschenbecher. Ich nahm mir nicht einmal die Zeit, sie auszudrücken. Ich riss ein buntes Hemd aus dem Kleiderschrank, weil ich mir dadurch die Krawatte ersparen konnte und sprang in Windeseile in meine Kleider. Auch auf meinen Mantel und den Hut verzichtete ich-Dann jagte ich hinaus, schlug die Wohnungstür hinter mir zu und stürzte aus dem Hause. Ich holte mir den Jaguar aus der Garage, setzte mich ans Steuer und schaltete die Sirene ein. Wie ein Rennfahrer fegte ich über den Asphalt.
Das Lokal, das mir Crochinsky genannt hatte, lag Downtown, also im südlichen Zipfel von Manhattan. Dort unten waren die Straßen leider nicht so schachbrettartig angelegt wie weiter oben im Norden, sodass ich bald mit meiner Geschwindigkeit heruntergehen musste. Als ich so weit ans Ziel gekommen war, dass man mich hätte hören können, schaltete ich die Sirene aus.
Unterwegs hatte ich ein paar Mal in Gedanken den Kopf geschüttelt. Das Schicksal spielte manchmal verrückter, als es sich der fantasiereichste Filmautor einfallen lassen kann. In dieser Acht-Millionen-Stadt New York hatten sich heute früh zwei erwachsene Menschen für ein paar Sekunden gesehen: Crochinsky und der Mörder des Jungen. Und ausgerechnet diese zwei unter acht Millionen mussten sich heute Abend zur
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