0137 - Die Bestien der Madame
bevorzugte, schon viele Falten hatte und wesentlich älter aussah, als sie tatsächlich war.
Ach ja, schoß es Shirley durch den Kopf. Ihr neuester Tick: Energie sparen. Deshalb wartet sie neuerdings im Dunkeln auf mich.
»Wo bist du gewesen?« fragte die dickliche Frau und erhob sich.
Ihre Miene wirkte streng.
»Ich habe mit Freunden eine Bootsfahrt gemacht. Wir waren den ganzen Tag unterwegs.«
»Mit Freunden«, sagte Mrs. Jennings abfällig. »Ich weiß, was du für Freunde hast. Gruppensex. Partnertausch. Rauschgift. Das sind ihre Lebensinhalte.«
Shirley seufzte. »Du kennst sie doch gar nicht, Mutter.«
»Ich weiß, in welchen Kreisen ein Flittchen wie du sich wohl fühlt. Du möchtest den Hauch der großen Welt spüren. Essen, Trinken, und alles andere gibt es im Überfluß, nicht wahr?«
»Was ist schlecht daran?«
Mrs. Jennings kam näher. »Das Geld verdirbt den Charakter, das ist eine alte Weisheit. Es verdirbt auch dich.«
»Mach dir doch nicht immer so viele Sorgen, Mutter. Das ist wirklich nicht nötig. Ich weiß, was ich tue.«
»So?« fragte Mrs. Jennings zweifelnd. »Weißt du das wirklich?«
»Aber ja.«
»Ist einer von diesen reichen Taugenichtse bereit, dich zu seiner Frau zu nehmen, he? Hat einer von denen, mit denen du ins Bett gehst, schon mal von Heirat gesprochen?«
»Vielleicht will ich gar nicht heiraten. Ist dir das noch nicht in den Sinn gekommen?«
»Schlampe!« zischte Mrs. Jennings.
»Herrgott noch mal, kannst du nicht endlich damit aufhören, mich wie ein Kind zu behandeln? Ich bin erwachsen, Mutter. Laß mich mein Leben leben!«
»Du verkommst!« schrie Mrs. Jennings. »Du wirst es sehen! Du steckst heute schon in einem Sumpf, der dich bald verschlingen wird. Dann wirst du heulen und mich um Hilfe bitten, aber ich werde dir nicht helfen.«
»Dafür danke ich dir heute schon!« schrie nun auch Shirley.
»Denn ich will mir von dir nicht helfen lassen!«
»Undankbares Miststück! Und so etwas habe in in die Welt gesetzt!«
»Also, dafür kann ich nun aber wirklich nichts!«
Mrs. Jennings wandte sich ab. Sie weinte. Shirley begab sich zur Hausbar. Es war immer dasselbe. Zuerst die Vorwürfe und Beschimpfungen, und dann weinte ihre Mutter. Nervös goß sich Shirley einen Scotch ein. Sie zündete sich auch eine Zigarette an, um sich zu beruhigen.
Mrs. Jennings schluchzte.
Shirley stand da, rauchte und trank, blickte ihre Mutter an und konnte nicht verstehen, wieso sie sich mit ihr nicht vertrug. Sie hatte trotz allem sehr viel übrig für diese Frau. Wenn ihr ihre Mutter doch nur ein Stück entgegengekommen wäre, wäre alles schon viel leichter gewesen.
»Müssen wir uns immer streiten, Ma?« fragte Shirley.
»Laß mich in Ruhe.«
»Wir würden viel besser miteinander auskommen, wenn du mir nicht immer Vorschriften machen wolltest.«
Shirley stellte das leere Glas weg, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und ging zu ihrer Mutter. Sie legte ihre Hände auf die Schultern der kleinen Frau und drehte sie um. Mrs. Jennings blickte zu Boden. Sie suchte nach einem Taschentuch und putzte sich geräuschvoll die Nase.
»Ich will doch nur dein Bestes«, sagte sie leise. »Verstehst du das denn nicht, Kind?«
»Ich versuche es wenigstens zu verstehen. Und du solltest mir auch mehr Verständnis entgegenbringen. Kannst du das nicht? Es gefällt mir nicht, daß wir uns immer zanken.«
»Denkst du, mir macht es Spaß?«
»Manchmal habe ich beinahe den Eindruck.«
Allmählich zerfaserte die Spannung, die zwischen ihnen bestand.
Nach einer Weile sagte Mrs. Jennings: »Da war ein Anruf für dich.«
»Wer?«
»Eine Madame M.«
»Madame M? Kenn ich nicht«, sagte Shirley. »Was hat sie gewollt?«
»Sie wollte nur mit dir sprechen. Mir hat sie nicht anvertraut, was der Grund für ihren Anruf war.«
»Wird sie wieder anrufen?« fragte Shirley.
»Ja.«
»Wann?«
Mrs. Jennings zuckte mit den Schultern. Im selben Moment schlug das Telefon an. Shirleys Mutter ging an den Apparat.
»Hallo!« meldete sie sich.
»Ist Ihre Tochter jetzt zu Hause?« fragte eine weiche Frauenstimme.
»Wer spricht?«
»Madame M. Ich sagte doch, ich würde noch mal anrufen.«
»Sagen Sie mal, wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«
»Spät? Was ist schon Zeit – gemessen an der Ewigkeit, Mrs. Jennings.«
Shirleys Mutter hielt ihr den Hörer hin. »Das ist sie wieder. Wenn du mich fragst – ich halte sie für verrückt.«
Shirley nahm ihr den Hörer aus der Hand. Sie meldete
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