0139 - Im Land des Vampirs
sich so auf die Dunkelheit eingestellt, daß sie den helleren Schein sofort wahrnahm.
War das die Rettung?
Ilona umkrampfte ihr kleines Kreuz. Sie wagte es kaum zu hoffen, doch unwillkürlich ging sie schneller.
Das Licht wurde heller, verwandelte sich in einen Streifen, der unter einer Tür herfallen mußte.
So war es dann auch.
Auf einmal sah sie schwach die Umrisse einer Tür im Mauerwerk.
Ein erstes Ziel.
Aber wenn die Tür verschlossen war?
Daran wagte sie nicht zu denken, sie mußte es halt probieren.
Dicht davor blieb sie stehen. Die Hände glitten über rauhes Holz, ein winziger Splitter drang in ihr Fleisch und erzeugte eine kleine Wunde, aber Ilona achtete nicht darauf. Sie suchte und fand die Klinke auch. Ein schwerer eiserner Hebel, den sie vorsichtig nach unten drückte und dann an der Tür zog.
Sie war offen!
Die plötzliche Helligkeit blendete Ilona, obwohl die auch nur von mehreren Kerzen abgegeben wurde, die rings um einen hochlehnigen Stuhl standen, der aus schwarzem Holz gefertigt war und den Mittelpunkt eines Podestes bildete, zu dem zwei breite Stufen an den jeweils vier Seiten hinaufführten.
Vorsichtig zog das Mädchen die Tür zu, Ilona war von der Pracht des Raumes beeindruckt. Gleichzeitig fürchtete sie sich auch vor der gefährlichen Düsternis, die ihr entgegenströmte. Nein, das sah zwar aus wie das Gemach eines Königs, es war es aber nicht.
Wieso dann die schwarzen Teppiche, in die blutrote Streifen wie Schlangenlinien eingewebt waren? Warum die dunklen Kerzen und die ebenfalls schwarzen Vorhänge an den Wänden?
Hier stimmte etwas nicht. Und Ilona hatte bereits genug über den Grafen Fariac gehört, um zu begreifen, daß sie in seinem Gemach gelandet war.
Ja, hier mußte er regieren.
Fariac, der Vampir! Ein König in seinem Reich.
Das Mädchen schluckte. Ihr Atem ging schneller, als ihr Blick sich nach einer zweiten Fluchtmöglichkeit umschaute.
Wo gab es die?
Hatte dieser Raum wirklich nur den einen Ein- oder Ausgang?
Ilona schritt vor und sah tatsächlich noch einen zweiten Eingang.
Da sie sich zwangsläufig dem Podest genähert hatte, fiel ihr noch etwas auf. Die obere Podestplatte bestand nicht aus Stein, sondern aus Glas.
Warum?
Im ersten Moment wollte sie hinlaufen und nachschauen, dann jedoch siegte die Furcht. Sie ließ es bleiben und wandte sich lieber der zweiten Tür zu.
Ilona war noch drei Schritte entfernt, als die Tür von außen aufgestoßen wurde.
Augenblicklich blieb das Mädchen stehen. Vor Schreck fuhren ihre Arme in die Höhe, und sie krampfte beide Hände um ihren Hals, wo das kleine Kettchen mit dem Kreuz noch hing.
Nein, nicht der Vampir kam herein, auch nicht Blutsauger, sondern eine Frau.
»Da bist du ja, schönes Kind«, sagte sie mit einer dunklen, etwas rauchig klingenden Stimme.
Ilona nickte nur. Sie starrte die Frau an, die ihr wie die schöne Königin aus einem fernen Land vorkam.
Die Frau war größer als Ilona, hatte pechschwarzes Haar, das sie jedoch mit zahlreichen Kämmen zu einer Turmfrisur hochgesteckt hatte. Dadurch wurde ihr schlanker Körper noch mehr zur Geltung gebracht. Sie trug ein langes Kleid aus dunkelgrünem Stoff, das mit einem viereckigen Ausschnitt versehen war, dessen Rand eine Brokatspitze zierte. Die Haut war bleich, wie bei einem Menschen, der lange nicht mehr die Sonne gesehen hatte, aber die feinen Herrschaften gingen ja selten aus, das wußte Ilona. Sie konnte auch keinen Blick von dem Gesicht nehmen, von diesen ausdrucksstarken Augen, in denen die Pupillen seltsam rötlich schimmerten, den hochstehenden Wangenknochen und dem vollen Mund mit der leicht vorgeschobenen Unterlippe. Keine Falte hatte ihren Platz in diesem Gesicht gefunden, es wirkte wie aus Marmor gemeißelt.
Plötzlich wußte das Mädchen auch, wer diese Frau war. Es gab keine andere Möglichkeit.
Vor ihr stand Katharina Fariac, die Gattin des Grafen und damit die Herrin auf diesem Schloß.
Was hatte sie nicht alles über die Frau gehört! Kaum jemand hatte sie zu Gesicht bekommen, nur Gerüchte und Legenden rankten sich um diese Person. Es hieß, daß sie nur in Eselsmilch baden würde, das sie mit dem Blut junger Mädchen mischte, und daß sie ihren Gatten dazu anhielt, sich immer neue Gespielinnen aufs Schloß zu holen.
Diese Frau war berüchtigt, und Ilona begann zu zittern.
Die Lippen der Gräfin verzogen sich zu einem Lächeln. »Hast du Angst vor mir?« fragte sie.
»Nein, nein, Gnädigste«, erwiderte Ilona schnell,
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