014 - Das Geheimnis der gelben Narzissen
einem starken, roten Band umgeben, das versiegelt war.
Sir Felix beugte sich ein wenig nach vorn und klingelte. Gleich darauf trat ein Angestellter ein.
»Bringen Sie diese Geschäftsbücher zu den anderen.« Der Mann schwankte beinahe unter dem Gewicht der schweren Last, als er das Zimmer wieder verließ.
»Wir bewahren alle Bücher und Rechnungsbelege der Firma Lyne in einem besonderen Raum auf«, erklärte Sir Felix. »Sie sind alle versiegelt worden, und diese Siegel werden in Gegenwart Mr. Milburghs als einer interessierten Partei und einem Vertreter der Staatsanwaltschaft erbrochen.« »Wann wird das geschehen?«
»Morgen nachmittag oder vielleicht schon morgen früh. Wir werden Scotland Yard die genaue Zeit noch bekanntgeben, da wir annehmen, daß auch diese Behörde ein Interesse daran hat und einen Vertreter schicken wird.«
Er erhob sich unvermittelt und verabschiedete sich von dem Detektiv.
Tarling war also schon wieder auf einen anderen toten Punkt gekommen, als er in St. Mary Axe einen Autobus nach Westen bestieg. Immer wieder geriet er bei seinen Untersuchungen in eine Sackgasse. Erst hatte er Odette Rider in einem falschen Verdacht gehabt, nun war es ebenso möglich, daß Milburgh an diesem Mord unschuldig war.
Trotzdem hatte er ein Gefühl der Befriedigung, daß die Geschäftsbücher der Firma Lyne so schnell einer Revision unterzogen wurden. Diese Prüfung konnte doch vielleicht zu der Entdeckung des Mörders führen und auf jeden Fall neue Tatsachen beibringen, die den Verdacht entkräfteten, in dem Odette Rider immer noch stand.
Er war zu der Firma Dashwood & Solomon gegangen, um sich einmal persönlich zu orientieren. Nachdem er über diese Sache beruhigt war, kehrte er in seine Wohnung zurück, um den Fall Ling Chu zu klären, der jetzt am meisten in dem Verdacht stand, die Tat begangen zu haben.
Er hatte nur die Wahrheit gesagt, als er Inspektor Whiteside erklärte, er wisse mit Ling Chu umzugehen. Einen chinesischen Verbrecher - er war jetzt so weit, zu glauben, daß auch Ling Chu, sein treuer Assistent, zu diesen zählte - kann man nicht nach europäischer Weise behandeln. Und er, der als Jäger der Menschen‹ in ganz Südchina bekannt war, stand in dem Ruf, Geständnisse durch Methoden zu erpressen, die kein Gesetzbuch sanktionierte.
Er trat in seine Wohnung, schloß die Tür hinter sich ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Er wußte, daß Ling Chu zu Hause war, denn er hatte ihm Anweisung gegeben, auf seine Rückkehr zu warten.
Der Chinese kam in den Vorraum, nahm ihm Mantel und Hut ab und folgte ihm ins Wohnzimmer.
»Schließ die Tür, Ling Chu«, sagte Tarling auf chinesisch. »Ich habe dir etwas zu sagen.«
Diese letzten Worte hatte er englisch gesprochen, und der Chinese schaute ihn überrascht an. Tarling hatte ihn noch nie in dieser Sprache angeredet, und er wußte sofort, was das zu bedeuten hatte.
Tarling setzte sich an den Tisch.
»Ling Chu, du hast mir noch nie gesagt, daß du englisch sprechen kannst.« Er ließ seinen Diener nicht aus den Augen.
»Der Herr hat mich ja auch nicht danach gefragt«, erwiderte der Chinese ruhig. Zu Tarlings größter Überraschung war sein Englisch ohne fremden Akzent und vollkommen richtig.
»Das ist nicht wahr«, sagte Tarling streng. »Als du mir erzähltest, daß du von dem Mord gehört hattest, sagte ich, daß du kein Englisch verständest, und du hast mir nicht widersprochen.«
»Es ist auch nicht gut für einen Diener, seinem Herrn zu widersprechen«, entgegnete Ling Chu kühl. »Ich habe sehr gut Englisch gelernt, ich war Schüler der Jesuitenschule in Hankau. Es ist aber nicht gut für einen Chinesen, in China englisch zu sprechen, es ist auch nicht gut, daß andere wissen, daß er es versteht. Aber der Herr muß gewußt haben, daß ich englisch spreche und auch lese, denn warum sollte ich sonst die Zeitungsausschnitte in dem Kasten aufheben, die der Herr heute morgen gesucht hat?«
Tarlings Augenlider zogen sich zusammen.
»Du weißt also, daß ich deinen Kasten geöffnet habe?«
Der Chinese lächelte. Das war etwas Ungewöhnliches, denn solange Tarling sich besinnen konnte, hatte Ling Chu niemals gelächelt.
»Die Zeitungsausschnitte lagen in einer gewissen Ordnung - einer in dieser Richtung und der nächste in der anderen Richtung. Als ich sie nach meiner Rückkehr von Scotland Yard betrachtete, lagen sie ganz anders. Sie konnten sich nicht selbst in Unordnung bringen, Herr, und außer dir konnte niemand
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