014 - Das Haus der boesen Puppen
weiteren Zeitungen durch.
Wieder Wien, achtundzwanzig Tage später.
Verstümmelte Leiche in der alten Donau.
Und wieder Wien, etwa einen Monat später. Dann St. Pöltener Tageblatt. Oberösterreichische Nachrichten. Eine Passauer Zeitung einen Stoß tiefer. Und immer wieder Schlagzeilen über Morde.
Charlotta hatte recht gehabt. Ihr Mann hatte die richtige Spur entdeckt. Sie führte hierher. Warum sonst sollten diese Stapel von Zeitungen in diesem Schrank liegen? Zeitungen erschienen in monatlichen Abständen, in verschiedenen Gegenden. Sie waren nichts anderes als das Tagebuch des Vollmondmörders – das die Welt für ihn geschrieben hatte.
Ein Geräusch ließ mich herumfahren. Im flackernden Kerzenlicht sah ich eine der Puppen in der Tür stehen. Sie maß mich einen Augenblick lang mit ihren funkelnden Augen, dann verschwand sie ohne einen Laut.
Ich hastete zur Tür und sah sie noch am fernen Ende des Korridors.
Rasch verschloss ich den Schrank. Sie wussten nun, dass ich wach war.
Was immer sie mit mir vorhatten, es würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ich musste fort – und zwar schnell.
Ich nahm die Kerze, hielt schützend die Hand vor die Flamme, damit sie nicht verlöschen konnte, und eilte auf den Gang hinaus.
Wo sollte ich hin? Die Türen an der linken Wand des Ganges würden wohl alle in solche Kammern führen wie meine. Um mich zu vergewissern, öffnete ich die nächste und hielt die Kerze hinein.
Der Raum war leer bis auf eine große Kiste. Neugierig trat ich näher. Die Kiste war etwa so groß wie ein Sarg. Dann las ich das Versandschild, und eine kalte Hand griff nach mir. In großen Buchstaben stand darauf: ELEVA GmbH, Hamburg.
Mehr war nicht leserlich.
Ich hob den Deckel an. In Holzwolle eingebettet, lag eine männliche Schaufensterpuppe von großer Vollendung darin.
Aber sie war nicht so vollkommen wie Eddie Gilberts Konterfei, das ich im Kaufhaus gesehen hatte. Diese Kiste war an das Kaufhaus adressiert.
Ich stellte die Kerze auf den Boden Und schloss die Tür bis auf einen winzigen Spalt, durch den ich nach draußen starrte.
Ein halbes Dutzend der Puppen eilte vorbei. Gleich darauf hörte ich sie in meiner Schlafkammer rumoren.
Ich blies die Kerze aus und lauschte. Sie verließen den Raum wieder, kamen den Gang zurück. Ich hielt den Atem an, als sie an mir vorbeikamen. Auf den Gedanken, in diesen Raum zu schauen, kamen sie Gott sie Dank nicht.
Ich wartete, bis ihre Schritte in der Ferne verklangen, dann wagte ich es wieder, die Tür zu öffnen.
Es war inzwischen heller geworden. Das Licht, das durch die Fenster fiel, reichte aus. Ich beschloss, die Kerze nicht mehr anzuzünden.
Rasch schlich ich den Gang entlang und erreichte eine Tür, die nicht verschlossen war. Dahinter führte eine breite Stiegenflucht in eine düstere Halle. Aber das große Tor ließ sich nicht öffnen, sosehr ich mich auch abmühte.
Ich war gefangen.
Natürlich gab es Fenster. Aber irgendwie gelangte ich nie in das Erdgeschoß. Und ich fand einfach keine Türen oder Stiegen, die ganz hinabführten. Dafür stieß ich immer wieder auf jene Halle mit dem verschlossenen Tor.
Mehrmals musste ich mich verbergen. Die Puppen suchten nach mir.
Inzwischen ging die Sonne auf und brachte mich mit ihrem Licht in die Realität zurück. Ich überdachte, was ich gesehen hatte, aber alles schien mir zu unglaublich.
Jemand gaukelte mir etwas vor. Anders konnte es nicht sein.
Diese Frau, die über die Puppen Gewalt hatte und ich zweifelte nicht daran, dass sie mich im Augenblick ebenso in der Gewalt hatte – musste über geheimnisvolle Kräfte verfügen; hypnotische vielleicht.
Aber warum das alles? Warum dieser Aufwand? Warum räumte sie mich nicht einfach beiseite? Wenn sie tatsächlich mit den Vollmondmorden zu tun hatte, mussten ihr Skrupel fremd sein.
Vage erinnerte ich mich an ein Gefühl von Zärtlichkeit und Liebe, aber es war zu bizarr in dieser Umgebung und Situation, als dass ich es beachtete.
Was sollte ich nur hier? Natürlich, ich wusste einiges. Sicher wollte man mich aus dem Weg haben. Vor dem nächsten Mord. Das war es. Heute Nacht würde Vollmond sein.
Ich dachte an Helen, aber nicht sehr intensiv. Mehr beschäftigten sich meine Gedanken mit Carlotta Gilbert. Hatten sie sie auch bereits in der Gewalt? Ich hoffte, nicht. Sie war die einzige, die der Polizei wenigstens einige Angaben machen konnte.
Die Frage war nur, ob sie es auch tun würde.
Nach einer kurzen Rast begab ich mich
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