0145 - Die fliegenden Särge
gehorchte.
»Und jetzt die Hände hoch und im Nacken verschränken«, ordnete der Anwalt an.
Er wartete, bis van Goeck dem Befehl nachgekommen war und sagte dann: »Gehen Sie langsam vor, bis zu dem ersten dicken Baumstamm. Da lehnen Sie sich gegen.«
Auch das tat der Mann. Er schaukelte beim Gehen, wie jemand der lange Zeit zur See gefahren ist. Einen halben Schritt vor dem mit Moos überzogenen Stamm stoppte er, nahm die Hände aus seinem Nacken, streckte die Arme aus, und ließ sich nach vorn fallen, wobei er sich mit den Händen abstützte und in der Schräglage stehen blieb.
Ransome kam näher. Van Goeck konnte das gemeine Lächeln auf den Lippen des Anwalts nicht sehen, er hörte nur die Schritte und spürte die Nähe des anderen.
Im nächsten Augenblick spürte er die kalte Öffnung der Mündung in seinem Nacken. Sie wurde ihm direkt ins Fleisch gepresst und erzeugte ein unangenehmes Gefühl.
»Hast du das schon mal gespürt?« fragte Ransome.
»Nein.«
Der Anwalt verstärkte den Druck. »Es wird gleich verschwinden, vorausgesetzt, du erzählst mir, wo die Unterlagen versteckt sind, mein Junge.«
»Nein!« ächzte van Goeck.
Da verschwand der Druck. Van Goeck wollte schon aufatmen, als ihn der Waffenlauf am Hals traf.
Er stöhnte auf, und Ransome lachte. »Überlege es dir genau, van Goeck. Noch hast du Zeit.« Seine Stimme wurde schärfer und lauter. »Ich gebe dir 30 Sekunden. Wenn ich bis dahin nicht weiß, wo die Papiere sind, fange ich an. Zuerst schieße ich dir ins Bein, dann in die Schulter und so weiter.«
Van Goeck hatte den Hieb noch längst nicht verdaut. Er war gegen den Stamm getrieben worden und klammerte sich daran fest. In seinem Schädel schienen noch immer winzige Explosionen stattzufinden. Trotzdem hatte er mitbekommen, was der andere von ihm wollte.
30 Sekunden.
Davon waren zehn schon vergangen.
»Ich warte«, sagte Ransome kalt.
Van Goeck schluckte. Er hatte es sich zu einfach vorgestellt und hätte auch nie damit gerechnet, dass dieser Anwalt sich so wehren würde. Aber für ihn stand eine ganze Menge auf dem Spiel. Seine Existenz, er hatte vielleicht so handeln müssen.
»Noch fünf Sekunden!«
Jetzt galt es. Van Goeck drehte sich um und schaute dem Anwalt ins Gesicht.
»Nun?« fragte Ransome.
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Geh zum Teufel, du Betrüger, von mir erfährst du nichts.«
»Okay, wenn das dein letztes Wort war, dann stirbst du eben verdammt langsam und qualvoll.« Ransom lachte und zeigte dabei seine falschen Zähne.
Da fiel der Schuss.
In der Stille war er besonders laut zu hören. Der Anwalt bekam einen heftigen Schlag in den Rücken und wurde nach vorn geworfen, auf van Goeck zu, der hastig zur Seite trat, so dass Ransome gegen den Baumstamm fiel und sich daran festhielt.
Mit beiden Armen umklammerte er ihn. Auf seinem Rücken breitete sich ein roter Fleck aus, der immer größer wurde.
Langsam rutschte der Anwalt an dem Stamm entlang zu Boden. Seine Hände öffneten sich, dann lag er auf dem Gesicht und rührte sich nicht mehr.
Van Goeck lachte. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. All die erlebte Anspannung entlud sich in diesem Lachen, das wild durch den kahlen Wald hallte.
So abrupt wie es aufgeklungen war, brach es auch ab. Van Goeck drehte den Kopf.
Dort kam sein Lebensretter. Oder besser gesagt, seine Lebensretterin. Es war eine etwas ältere Frau mit aschblonden Haaren, die sie allerdings unter einem roten Kopftuch versteckt hatte. Sie trug einen mit Fell gefütterten dunkelblauen Mantel und Stiefel. In der Hand hielt sie eine Pistole.
»Das wurde auch Zeit«, sagte van Goeck.
Die Frau gab keine Antwort. Sie ging an dem jungen Mann vorbei, blieb neben der Leiche stehen, sah das Einschussloch, nickte, bückte sich und drehte den Kopf des Anwalts zur Seite.
Ransome war noch nicht tot. Wie unter Zwang öffnete er seine Augen und schaute die Frau an.
Sie sah in das schmutzige Gesicht und lächelte nur spöttisch.
»Brenda«, keuchte der Anwalt, dann brach sein Blick. Cyrus Ransome war endgültig tot.
Die Frau richtete sich auf und steckte ihre Waffe weg. »Damit hat er nicht gerechnet«, sagte sie, »dass seine eigene Sekretärin ihn einmal erschießen würde.«
»Nein, wirklich nicht, Brenda. Du bist gut, Darling.« Van Goeck wollte sie in den Arm nehmen, doch sie wehrte unwillig ab.
»Lass die Faxen, Clemens. Was du hier treibst, ist sowieso nicht echt. Wir sind keine Bett- sondern Geschäftspartner. Das solltest du dir
Weitere Kostenlose Bücher