015 - Die Heiler
Stimme. Tschak fuhr herum und sah in das Gesicht der alten Frau, die sich freiwillig angeboten hatte, Ruut zu pflegen. Sie sagte, sie fürchte sich nicht vor der Krankheit.
»Wieso bist du nicht bei meinem Sohn?«, fuhr er sie an.
Die Greisin senkte den Kopf, wagte es nicht, Tschak in die Augen zu sehen.
»Wegen ihm bin ich zu dir gekommen«, entgegnete sie leise. »Ruut ist in eine tiefe Ohnmacht gefallen. Ich befürchte, er wird nicht mehr daraus erwachen. Wenn du ihn also noch einmal sehen willst…«
Sie ließ den Satz unvollendet.
Etwas in Tschak zerbrach.
»Sag meinem Weib Bescheid«, befahl er rau und wandte sich ab, damit sie nicht sehen konnte, wie sich die Augen ihres Königs mit Tränen füllten.
Bis zu diesem Moment hatte Tschak geglaubt, sein Sohn würde den bösen Geist in seinem Körper besiegen. Erst jetzt begriff der Majistee, dass er Ruut, seinen einzigen Sohn und Erben, verlieren konnte. Die Erkenntnis war beinahe mehr als er ertragen konnte.
Tschaks verschwommener Blick richtete sich auf die Himmelskugeln, die dunkel und unheilbringend in den Himmel ragten.
Weit hinter ihm erklang die Stimme seiner Frau. Er konnte keine Worte verstehen, nahm nur den Hass in ihrem Tonfall wahr. Hass gegen die Heiler, die ihren Sohn auf dem Gewissen hatten.
Tschaks Hand strich über den Knauf seines Schwertes.
Scheiß auf den Frieden, dachte er. Er wollte Rache.
Matt löschte das Licht der Taschenlampe und presste sich gegen die Wand.
Direkt neben ihm öffnete sich knarrend die Tür. Ihr Schatten legte sich über Matt und verbarg ihn vor den Blicken der eintretenden Person. Schritte schlurften über den Fußboden.
Atemlos wartete Matt auf einen Alarmschrei.
Selbst im geringen Licht der Sterne waren die zerstörte Scheibe und die umgeworfene Kiste gut zu sehen.
Aber nichts passierte.
Matt trat lautlos aus den Schatten heraus.
Der Unbekannte wandte ihm den Rücken zu. Im ersten Moment glaubte Matt, er trüge ein Kleid, aber dann erkannte er, dass es sich wohl eher um eine Art hellen Kittel handelte. Dürre nackte Beine ragten darunter hervor.
Der Mann hatte sich über einen Container gebeugt und murmelte etwas Unverständliches.
Er trug weder eine Kerze noch eine Fackel mit sich. Matt fragte sich kurz, wie er in dem schlechten Licht überhaupt etwas sehen konnte. Der Unbekannte kicherte und nahm eine Glasflasche an sich. Dann drehte er seinen Oberkörper und griff in den Behälter, in dem sich Einwegspritzen befanden. Matt überlief es kalt, als er sah, dass die Glasflasche aus dem Pestcontainer stammte. Er beschloss das Versteckspiel zu beenden.
»Leg das wieder hin!«, forderte er in der Sprache der Wandernden Völker.
Der Unbekannte ignorierte ihn, zuckte noch nicht einmal zusammen.
Matt wiederholte seine Aufforderung. Das Resultat blieb dasselbe. Der Mann wühlte unbeeindruckt weiter in den Containern. Er drehte Matt immer noch den Rücken zu.
Unwahrscheinlich, dass er ihn einfach ignorierte; vielleicht konnte er ihn nicht hören.
Matt steckte die Taschenlampe ein und entschied sich für eine direktere Vorgehensweise. Er packte den Unbekannten von hinten am Arm und entwand ihm den tödlichen Glaskolben.
Der Mann schrie erschrocken auf.
Matt legte ihm den rechten Arm um die Kehle und drückte zu. Der Schrei wurde zu einem Röcheln. Mit der Linken hielt er den Glasbehälter hoch.
»Was willst du damit?«, schrie er ihn an.
»Weißt du überhaupt, was das ist?« Er lockerte seinen Griff ein wenig, um dem Mann eine Antwort zu ermöglichen.
»Dyspnoe inspiratore lasion«, krächzte der.
»Inspiratore larynx…«
Was?, dachte Matt verwirrt. Außer dem Wort
»larynx«, das im englischen »Kehlkopf« bedeutete, hatte er nichts verstanden.
Er stellte das tödliche Glas auf den Boden und drehte den Mann zu sich um. Erst jetzt sah er dessen Gesicht. Es war so weiß wie das eines Albinos. Blinde Augen starrten Matt aus dem kahlen Schädel entgegen - wässrig weiße Linsen ohne abgegrenzte Pupillen. Der Mann war so alt, dass sein Körper fast schon skelettiert wirkte.
Matt ließ ihn los. »Kannst du…«
»Lasion«, unterbrach ihn der Alte.
»Inspiratore larynx…«
Entweder konnte oder er wollte nichts anderes als diese merkwürdigen Worte sagen, die Matt an medizinische Begriffe erinnerten. Seine erste Vermutung, dass der Mann taub war, schien sich zu bestätigen.
Von ihm würde er jedenfalls nichts erfahren. Frustriert ließ Matt ihn los und riss einen Streifen vom Kittel des Heilers
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