015 - Zombie-Wahn
und nach dem Tod des alten Pfarrers dessen Stelle
übernommen hatte, hieß Erneste. Er gehörte zu den Personen im Dorf, die zu den
beliebtesten zählten.
Erneste hatte ein Ohr für jeden.
Man konnte mit allen Problemen zu ihm kommen, mit jedem Anliegen. Erneste half,
wo immer er konnte. Dabei war es ihm gleich, ob einer zu seinen Schäfchen
gehörte oder zu einer anderen Konfession.
Erneste war einundsechzig und von
einer heimtückischen Krankheit gezeichnet. Seit drei Jahren nahm ihm ein junger
Amtsbruder einen Teil der täglich anfallenden Arbeit ab. Aber es gab immer noch
Aufgaben, bei denen Erneste sich von niemand vertreten ließ.
Dazu gehörten beispielsweise die
regelmäßigen Krankenbesuche bei der alten, gebrechlichen Sophie Foche.
Sie war vier Wochen in einem
Hospital in Nogent-le-Rotrou gewesen. Nun hatte man sie nach Hause geschickt.
Sie war bleich, abgemagert und kraftlos, und schaffte es nicht mehr, ihren
Haushalt zu führen. Sophie Foche, von der man in Montmirail sagte, daß sie, als
sie noch jung gewesen war, zu den schönsten Frauen des Dorfes gehörte und
selbst harte, körperliche Arbeit auf dem Hof unbeschadet verkraftete, verfiel
zusehends.
Ihre Tage waren gezählt. Und
Erneste ließ es sich nicht nehmen, jeden Abend auf den Hof zu fahren, der noch
zu den beiden letzten gehörte, die in Montmirail bewirtschaftet wurden. Der
dritte war der Saint-Mireille-Hof. Mit dem Tod des Besitzers vor rund zwanzig
Jahren hatte er seine Existenzgrundlage verloren. Das Gut war seinerzeit für
einen Spottpreis an einen Landwirt aus dem Nachbarort gegangen. Aber es war ihm
nie gelungen, den Hof wieder auf Vordermann zu bringen. Das Anwesen verkam und
war heute eine halbzerfallene Ruine, die manchmal von den Jugendlichen aus den
umliegenden Orten zum Treffpunkt für irgendwelche Feten auserkoren wurde.
So wie die Dinge lagen, sah es ganz
so aus, als stünde dem Gut der Foche das gleiche bevor.
Sophie Foche konnte sich nicht
verlassen auf ihre Tochter und die beiden Söhne. Keiner hatte Interesse daran,
die harte Arbeit fortzuführen und das Gut zu bewirtschaften. Sie lebten in den
Städten und versuchten auf leichtere Art und Weise ihr Geld zu verdienen.
Pfarrer Erneste kehrte von seinem
abendlichen Besuch bei Sophie Foche zurück. Der Mann saß nachdenklich am Steuer
des dunkelgrünen Renault R 4, der seine zehn Jahre auf dem Buckel hatte. Das
sah man dem Fahrzeug aber nicht an. Es war gepflegt, und jeder Rostfleck wurde
von Erneste persönlich entfernt, noch ehe er der Karosserie gefährlich werden
konnte.
Der Pfarrer fuhr langsam. Es
regnete noch immer in Strömen, die Scheibenwischer schafften es kaum, die
Wassermassen von der Frontscheibe wegzudrücken.
Im Licht der Scheinwerfer tanzten
dichte Regenschleier und zeigten sich verwaschen die Umrisse der Straße, die
Sträucher und Büsche am Wegrand.
Die schmale Straße führte direkt
nach Montmirail hinein.
Der Renault passierte die Stelle,
wo der Weg zum alten Friedhof auf den Hügel führte.
Der Mann am Steuer wandte
unwillkürlich den Blick, um in die Richtung zu sehen. Dort oben hatte er
manchen Leichnam der Erde übergeben. Den letzten vor zwanzig Jahren, denn seit
dieser Zeit wurde der Friedhof nicht mehr benutzt.
Einen Moment war es dem
Geistlichen, als sähe er mitten im herabströmenden Regen dunkle Gestalten, die
den aufgeweichten Weg entlangliefen.
Unwillkürlich nahm Erneste den Fuß
vom Gaspedal.
Doch da war der Eindruck auch schon
wieder vorbei, und der Pfarrer war überzeugt, sich getäuscht zu haben. Wer
sollte auch bei diesem Wetter und zu dieser Zeit jetzt so weit außerhalb noch
einen Spaziergang unternehmen, sagte er sich …
Im nächsten Moment schon wurde er
eines besseren belehrt.
Da … rechts am Straßenrand … stand
jemand!
Die Gestalt stand in leicht
gebückter Haltung, sah schwach und abgerissen aus wie ein alter Mann, der vom
Regen überrascht wurde und für den es nun eine Zumutung und große körperliche
Anstrengung war, weiterzugehen.
Der Priester hielt sofort an. Er
hatte keine Erklärung dafür, wieso bei diesem Wetter jemand hier draußen
herumspazierte.
»Kommen Sie!« rief er und öffnete
zuvorkommend dem am Straßenrand Stehenden die Tür, die nach seiner Seite
aufging. »Sie sind ja völlig durchnäßt … Bei diesem Wetter holen Sie sich noch
den Tod …«
Die Gestalt wankte zwei Schritte
näher.
Das dünne, nasse Haar hing wie
Spinnweb an dem zerknitterten Kopf. Die Kleidung bestand aus
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