0153 - Sie nannten sich Löwen und Tiger
klappte die Hand über den Mund, entschuldigte sich hastig und eilte davon.
Fünf Minuten später saß ich bereits dem Herausgeber, einem gewissen Cheeser, gegenüber, einem kleinen Männlein mit unruhigen, verschmitzten Augen, einer spitzen Nase und schmutzigen Fingernägeln.
»Was kann ich für Sie tun, Mister G-man?«, fragte er.
»Cotton heiße ich, und ich ersuche Sie um Auslieferung des Briefes, den Sie in Ihrer Abendausgabe erwähnt haben.«
»Es gibt so etwas wie ein Redaktionsgeheimnis«, erklärte er mit Wichtigkeit. »Kein Mensch kann uns zwingen, Zuschriften von Informationen aus der Hand zu geben oder deren Namen zu nennen.«
»Sie irren sich, Mister Cheeser«, antwortete ich ihm. »Was Sie mir da vorbeten, mag in harmlosen Fällen gültig sein, aber heute handelt es sich um Mord, und dabei gibt es kein Redaktionsgeheimnis. Ich habe den dringenden Verdacht, dass der Schreiber des bewussten Briefes der Mörder von Margret Hudson ist. Wenn Sie die Herausgabe verweigern, so riskieren Sie, als Komplice vor Gericht gestellt zu werden. Ich gebe Ihnen eine Minute Bedenkzeit. Dann lasse ich Sie verhaften und diese ganze Bude auf den Kopf stellen, bis wir die Unterlagen gefunden haben.«
Cheeser merkte sehr schnell, dass er sich gewaltig in die Nesseln gesetzt hatte, und er versuchte, sich mit der Abwesenheit des Redakteurs herauszureden. Aber ich gab nicht nach. Zum Schluss behauptete er, niemals einen Brief erhalten zu haben.
Er habe die betreffende Nachricht kurz nach vier durch einen Telefonanruf erhalten und sie mitgeschrieben. Als Beweis legte er mir einen Stenoblock vor, den ich kurzerhand einsteckte.
»Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, der Name sei der Redaktion bekannt?«, schnauzte ich ihn an.
»Das ist nichts weiter als ein erlaubter Trick, um den Bericht glaubwürdig zu machen«, erwiderte er grinsend. »Derartiges geschieht jeden Tag hundertmal.«
»Ich fürchte, mein Lieber, diese Angelegenheit wird Sie einen großen Batzen Geld kosten. Denken Sie vielleicht, Mister Forrester lasse sich eine derartige Verleumdung ohne Weiteres bieten?«
»Wir warten nur auf seine Beleidigungsklage«, meinte er. »Wenn er unter Eid aussagt, dass die Nachricht falsch ist, so hat er die erste Runde gewonnen, aber nur solange, bis wir das nötige Beweismaterial aufgestöbert haben. Ich weiß, was ich weiß.«
Ich ging und dachte zuerst einmal darüber nach, wer dem Kerl die Nachricht mit allen Details übermittelt haben könnte. Annie hatte gelauscht, aber sie saß hinter Gittern. Bob und Marcia waren wohl in der Nähe gewesen, hatten die beiden anderen aber weder sehen noch hören können. Es blieb nur der Mann im Smoking, dessen Silhouette ich bemerkt hatte. Wieder tippte ich auf Valgas.
Dieser verflixte Bursche schien bei jeder Gemeinheit die Finger im Spiel zu haben. Jetzt war es so weit. Den Herrn würde ich mir vornehmen, und zwar ganz energisch. Immer mehr verstärkte sich mein Verdacht, dass er der Mörder war. Das Einzige, was mir fehlte, war ein zwingendes Motiv, aber ich gab mich der Hoffnung hin, dass auch das sich finden würde. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass Halunken vom Schlag des Mexikaners Feiglinge sind, und darauf baute ich.
Der Hausverwalter des Junggesellenheims brauchte nur einen Blick auf meinen Ausweis zu werfen, und dann redete er. Ich hatte richtig kalkuliert. Fernando Valgas wohnte dort, aber er war nicht zu Hause. Wie der Mann mit aller Bestimmtheit versicherte, war er am gleichen Nachmittag unter Mitnahme eines Handkoffers verreist. Er hatte angegeben, in ungefähr einer Woche zurückzukehren. Das war natürlich eine schwere Enttäuschung.
Valgas musste von meinen Absichten und möglicherweise sogar von meinem Beruf Witterung bekommen haben. Er hatte versucht, mich zum Schweigen zu bringen und war anschließend abgehauen. Das Einzige, was ich nicht begriff, war, woher seine Kenntnisse rührten.
Ich fuhr zum Office, wo ich um acht Uhr fünfzehn ankam. Ich berichtete Phil, der vollkommen meiner Ansicht war, und so ließen wir ein Fahndungsersuchen nach dem Mexikaner hinausgehen. Anschließend erkundigte ich mich nach dem Befinden von Mrs. Hudson und war angenehm überrascht, als Viola sich meldete. Der Arzt war gerade da gewesen, und er hatte, wie das Mädchen mir sagte, wenig Hoffnung, Flora Hudson durchzubringen. Er hätte sie schon lange ins Hospital geschafft, wenn sie transportfähig wäre, aber ihr Herz war so schwach, dass auch die geringste Anstrengung tödlich
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