0155 - Die Teufelsuhr
hochgesteckt, an den Seiten fielen sie wieder in Korkenzieherlocken herunter. Den Hals schmückte eine schlichte Perlenkette.
Ansonsten trug sie im Gegensatz zu einigen anderen Damen kaum Schmuck.
Von Marion Mitchell sah ich nichts mehr. Ich nahm an, daß sie sich umzog.
Nadine hakte sich bei mir unter. »Jetzt mußt du mir aber erst erzählen, wie es dir ergangen ist. Was gibt es Neues?«
»Sehr viel.«
»Und?«
»Dr. Tod ist wieder da.«
Erschrecken zeichnete ihr Gesicht. »Das gibt es doch nicht.«
»Leider.«
»Und? Hattet ihr schon Auseinandersetzungen?«
»Mehr als einmal. Er ist dabei, sich eine schlagkräftige Truppe aufzubauen, die sich die Mordliga nennt. Es sieht ziemlich übel aus, Nadine. Aber davon wollen wir heute nicht reden.«
Nadine blickte zu Boden. »Nein, sicher nicht. Es ist ja auch ein toller Tag.« Sie schluckte.
Ich legte zwei Finger unter ihr Kinn und hob den Kopf leicht an.
»Mädchen, was ist los mit dir?«
Sie sah mich aus feuchten Augen an. »John, ich glaube, ich habe vieles falsch gemacht.«
»Ach, das darfst du nicht so eng sehen, Nadine. Es war vielleicht etwas viel für dich.«
»Kann sein.«
»Wo treffen wir uns?«
»In einer Viertelstunde oben in einem Zimmer. Die fünfte Tür auf der rechten Seite. Dorthin ziehe ich mich immer zurück, wenn ich allein sein will.«
»Okay, ich bin pünktlich.« Wir trennten uns wieder. Ich nahm ein Glas Sekt und sah mich um. Die meisten kannte ich nicht, aber mir fiel ein älterer Mann auf, dem es ähnlich erging wie mir. Er hatte sich in eine Ecke gestellt. Er trug einen dunklen Anzug, dessen Schnitt schon aus der Mode gekommen war. Er betrachtete die Gesellschaft teils mit kritischen, teils mit müden Augen.
Ich blieb neben ihm stehen. »Sie scheinen hier auch kaum einen zu kennen?« sprach ich ihn an.
»Ja, das stimmt.« Der Mann rückte an seiner Brille. »Dabei stamme ich von hier. Ich komme aus Miltonburry und bin der Bürgermeister. Mr. Mitchell hat mich eingeladen.«
»Ich bin aus London. Ein Bekannter der Braut.« Der Mann lächelte.
»Sie ist ein patentes Mädchen, wirklich. Nicht eingebildet.«
»Und der Bräutigam?«
»Nun ja, ich will nichts Schlechtes sagen, aber er ist ziemlich arrogant, das finden wir im Dorf. Entschuldigen Sie, daß ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Patrick Kiboran.« Ich sagte ihm auch meinen Namen, verschwieg aber den Beruf. Dann erschien Marion Mitchell oben an der Treppe. Selbst aus dieser Entfernung konnte man sehen, daß sie einen Traum aus türkisfarbenem Tüll als Kleid trug.
»Kinder!« rief sie, und ihre Stimme überklang selbst den Partylärm. »Kann mir denn niemand helfen? Ich bekomme mein Kleid am Rücken nicht zu. Ein Kuß für den, der es schafft.« Das war etwas für den blondhaarigen Playboy. Rücksichtslos räumte er im Wege stehende Gäste zur Seite und sprintete die Stufen hoch.
»Hi, Freddy, du bist wie immer der Schnellste.«
»Klar. Bei einer Frau wie dir.«
Marion lachte hell. »Komm, wir gehen ins Zimmer.« Freddy legte seinen Arm um sie, und die beiden verschwanden unter dem Beifall der Gäste.
Ich hörte, wie jemand sagte: »Mann, die geht aber schon früh am Tage ran.«
»Vielleicht muß sie was nachholen?« Die fragende Antwort stammte aus einem Frauenmund.
Bürgermeister Kiboran verzog das Gesicht und wischte sich über den Mund.
Ich merkte seine Gefühlsregung und fragte: »Das hier ist nicht so Ihr Fall – oder?«
»Ganz und gar nicht.«
»Sind Sie allein gekommen?«
Er nickte. »Ja, meine Frau lebt nicht mehr. Ich bin seit zwei Jahren Witwer.«
»Das tut mir leid.«
»Schon gut.« Der Bürgermeister nahm einen Schluck. »Sie hatte Krebs. Vielleicht hätte man sie in der Großstadt retten können, aber hier auf dem Land?« Er schüttelte den Kopf. »Da ist nichts zu machen. Ich wollte erst meinen Posten aufgeben, aber man hat mich so lange bekniet, bis ich weitermachte. Ist gewissermaßen eine alte Familientradition. Ich hoffe, daß mein Sohn auch mal so einschlägt.«
»Dann hatte Ihr Vater das Amt auch?« fragte ich.
»Und mein Großvater.«
»Alle Achtung, das findet man selten.«
»Wissen Sie, Mr. Sinclair, in Miltonburry ist vieles anders. Hier kümmern sich die Leute nicht um Parteien. Die wählen irgendeinen, der dumm genug ist, das Amt zu übernehmen. Das war eben die Tragik unserer Familie.«
Ich mußte lachten. Der Bürgermeister sprach mit einer Leidensbittermiene. Irgendwie gefiel er mir. »Sie mögen Mr.
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