016 - Herrin der Woelfe
Himmel, sie hatte gar nicht gewusst, wie hungrig sie war!
Alexis schien ihr schweigsamer als sonst. Er war bemüht, einen beschäftigten Eindruck zu erwecken. Als sie fragte, was Cuon wohl an dieser Stalltür gerochen haben mochte, hob er nur die Schultern.
»Wo ist Karel?«
»Im Keller.«
»Keller?« wiederholte sie erstaunt. »Hat dieser Bauernhof einen Keller?«
»Einen Vorratskeller und ein Gewölbe für Wein«, erklärte er.
»Sieh mal an!« bemerkte sie nicht ohne Spott. »Und wo ist dieser Keller?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie können jetzt nicht zu ihm.«
Sie hob die Schultern. Nun, sie wollte Woiew lediglich berichten, was Dr. Weißer vorhatte. Aber das war nicht so eilig.
»Sagen Sie ihm, dass ich ihn sprechen möchte, sobald er ´raufkommt.«
Eine Weile saß sie an der Schreibmaschine und versuchte, in groben Zügen die zweite Hälfte des Artikels zu konzipieren, aber sie vermochte sich nicht recht zu konzentrieren. Der fertige Teil des Artikels kam ihr plötzlich leer vor, ohne Aussage, ohne Höhepunkt, ein Sammelsurium von Belanglosigkeiten, für die sich vielleicht alte Tanten interessierten. Sie fragte sich, wie viele alte Tanten wohl die Abendpresse lasen und ob es tatsächlich Leute gab, die an der Wochenendbeilage nicht nur die Comics interessierten. Und während sie diesen Gedanken nachhing, sickerte etwas anderes in ihr schläfriges Bewusstsein.
Es war still. Unnatürlich still. Verwundert trat sie ans Fenster.
Die Nachmittagshitze, dachte sie, lässt alles verstummen. In den Gehegen waren keine Tiere zu sehen. Sie mussten sich vor der Hitze in die künstlichen Höhlenbehausungen zurückgezogen haben.
Unvermittelt beschloss sie, baden zu gehen. Als sie aus dem Zimmer trat, sah sie, dass Cuon verschwunden war. Auch auf mehrmaliges Rufen hin kam der Rote nicht herbei. Bestürzt eilte sie in den Innenhof. Er lag verlassen da. Sie hörte Alexis irgendwo im Haus arbeiten, fasste sich ein Herz und lief über den Hof auf die geheimnisvolle Stalltür zu. Die Tür war nicht verschlossen.
Im Dämmerlicht sah sie einen fremden Wagen stehen, einen roten Opel mit einer Salzburger Nummer. Hatte Woiew Besuch? Aber warum diese Geheimnistuerei?
Natürlich, sie war eine Fremde hier. Offenbar gab es ein paar Dinge, die Woiew für sich behalten wollte. Sie hob die Schultern. Das konnte man ihm schlecht verdenken.
Wenn er ihr darum heute Vormittag so ohne weiteres den Wagen gegeben hatte, dann war sie vielleicht zu früh zurückgekommen.
Aber Schnüffeln war mehr oder weniger ihr Beruf, und wenn sie schon einmal eine Spur hatte …
Sie blickte durch die Scheiben ins Innere des Wagens, sah aber bei dem spärlichen Licht nicht viel. Doch die Wagentür war nicht abgeschlossen, wie sie gleich darauf feststellte. Auf den Sitzen lag nichts, das einen Hinweis auf den Besitzer gegeben hätte. Im Handschuhfach entdeckte sie indessen Papiere.
Erfreulicherweise steckte der Zündschlüssel. Einen Augenblick zögerte sie, dann schaltete sie das Licht ein.
Die Wagenpapiere liefen auf den Namen Gerd Rohrich, zweiundvierzig Jahre alt. Den Namen hatte sie nie gehört.
Sonst war nichts zu erfahren. Deshalb steckte sie die Papiere wieder in das Fach, drehte das Licht aus und schloss den Wagen so lautlos wie möglich.
Vorsichtig warf sie einen Blick durch den Torspalt. Draußen regte sich nichts.
Aufatmend huschte sie aus dem Stall und zwang sich, langsam quer über den Hof zu gehen. Sie verließ den Hof durch das Einfahrtstor und wanderte bachaufwärts. Es war heiß, und ihre Gedanken beschäftigten sich mit dem Weiher, dem sie zustrebte. Nichts rührte sich in den Gehegen, an denen sie vorbeikam. Sie hielt an und blickte genauer durch das Drahtgitter. Selbst die Behausungen schienen leer zu sein. Das war allerdings seltsam. Wo waren die Wölfe nur? Ihr kam in den Sinn, dass sie seit Stunden keines der Tiere gesehen hatte.
Hing das mit dem Besuch zusammen?
Einen Augenblick erwog sie umzukehren und der Sache auf den Grund zu gehen, aber dann dachte sie, dass allzu unverschämte Schnüffelei vielleicht das Ende ihres Aufenthalts hier bedeuten konnte, und das wäre zu früh gewesen.
Außerdem gab es nichts, das sich nicht auch noch in einer Stunde klären ließ.
Das Bad war erfrischend. Mehr als eine Stunde verging, ehe sie auf den Hof zurückkehrte.
Woiew war anwesend und ein wenig nervös. Sie berichtete ihm von dem Foto, das in der Stadt gemacht worden war und von den Absichten ihres Chefs.
Verärgert
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