Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
016 - Herrin der Woelfe

016 - Herrin der Woelfe

Titel: 016 - Herrin der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
Vom Netzwerk:
mitten unter diesen Leibern zu sein, sich an ihnen zu reiben und zu stoßen, auf allen vieren zu sein, wurde übermächtig. Erschaudernd ließ sie sich nieder und gab sich den Liebkosungen der Tiere hin. Ein nie gekanntes Glücksgefühl durchströmte sie. Es war kein menschliches Empfinden, es war, als wäre sie einer von ihnen und mit der gleichen Wildheit erfüllt. Dumpf erkannte der verdrängte Rest Mensch in ihr, dass Woiew recht hatte: Sie besaß so etwas wie eine zweite Natur, eine, die alles andere denn menschlich war und die weder Verstand noch Zweifel verleugnen konnten; die nur der Mond beherrschte. Die Wölfe hatten sie gleich gefühlt.
    Sie verlor jedes Zeitgefühl, aber sie entdeckte später, als sie im Bett lag und wieder ganz Mensch war, wundersame Dinge in ihrer Erinnerung. War sie wahrhaftig mit den Wölfen über den Hügel gejagt? Mit dem gleichen jauchzenden Heulen, das dem Mond und der Welt und dem Leben galt?
    Der Intellekt verfälscht, dachte sie.
    Das Leben wurde nie wieder so intensiv, so kompakt, wenn man es erst in seine logischen Einzelteile zerlegte; wenn man es mit Gedanken auseinander riss und mit Spekulationen wieder zusammenflickte. Seit Jahrhunderten tat der menschliche Geist nichts anderes, und immer wenn er das Seziermesser an eine neue Idee ansetzte, entwich etwas von der kostbaren Essenz, bis sie flach und schal war. Das menschliche Leben war ein einziger Prozess der Inzucht, in dem alles Natürliche zerstört wurde und eine künstliche Welt entstand, immer aus dem eigenen Geist geschaffen, der zu seiner Befruchtung nichts anderes als wiederum menschlichen Geist nahm. Aber es gab noch Dinge, die dem Leben näher waren. Das hatte sie eben erlebt. Ich bin verrückt, dachte sie unvermittelt. Dann fiel ihr ein altes Sprichwort ein: dass nämlich die Narren freier sind als die Klügsten dieser Welt, und sie lächelte in der Dunkelheit.
     

     
    Am Morgen hatte sie noch sehr vage Erinnerungen an die nächtlichen Begebenheiten.
    Weder Alexis noch Woiew schienen etwas bemerkt zu haben.
    Sie hatte den Kopf voller Ideen und nützte den Vormittag damit, den größten Teil ihres Artikels zu schreiben. Während des Schreibens erkannte sie, dass sich ihr ganzes Wesen irgendwie verändert haben musste. Sie fühlte sich freier. Sie dachte anders über die Dinge.
    Bevor sie fertig war, fiel ihr siedendheiß ein, dass sie Dr. Weißer benachrichtigen musste. Entschlossen bat sie Woiew um den Wagen. Er zeigte sich überraschend bereitwillig.
    »Natürlich können Sie ihn haben. Ich nehme nicht an, dass Sie sich drücken wollen.«
    »Drücken?« fragte sie verständnislos. »Wovor?«
    »Sie sind ein Werwolf, Fräulein Lemar, und morgen ist der Augenblick, Ihnen das zu beweisen. Morgen ist Vollmond, das wissen Sie doch?«
    »Es mag schon etwas von einem Wolf in meinem Wesen sein«, erwiderte sie fest. »Darauf deutet auch mein Traum hin.
    Aber noch habe ich keine ungeheuerlichen Züge an mir entdeckt, wie Sie mir andichten wollen.«
    »Oh«, sagte er lächelnd, »ich kann Ihnen versichern, dass Sie der attraktivste Werwolf sind, den ich kennen gelernt habe. Und ich kenne einige.«
    »Mit alten Schauerlegenden könne Sie mich nur schwerlich überzeugen. Niemand glaubt an sie. Warum also ich?«
    »Vergessen Sie nicht«, bemerkte er in eindringlichem Tonfall, »sie stammen aus einer Zeit, da standen die Menschen dem Leben noch näher. Da konnten die Dinge sich noch im Menschen entfalten. Der Mensch lässt sich auch über Jahrtausende hinweg nicht vollständig verwässern. Da und dort taucht er in seiner reinen Form wieder auf – als Geschöpf von multipler Natur und multiplem Bewusstsein, nicht einfach nur als ein Tier mit Intelligenz.«
    Bestürzt erkannte sie, dass er bei denselben Überlegungen einhakte, denen sie nach ihrem nächtlichen Erlebnis nachgehangen hatte. War das das Geheimnis der Legenden? Ließen sie sich so einfach auf einen Nenner bringen?
    »Ich werde zurück sein«, erwiderte sie. »Ich will Ihre verrückte Theorie platzen sehen. Paff!«
    Sie schnippte mit den Fingern. Aber der Spott, den sie beabsichtigt hatte, ging irgendwie verloren.
     

     
    Während der Fahrt in die Stadt war sie nachdenklich. Cuon auf dem Rücksitz schien es zu fühlen. An seinem Benehmen hatte sich seit gestern Nacht nichts geändert. Es kam ihr vor, als hätte auch ihn und die anderen Wölfe der Mond verwandelt und in ihnen eine andere Natur zum Vorschein gebracht. Denn nun wich er ihren Händen wieder aus.

Weitere Kostenlose Bücher