0165 - Die Bestien aus dem Geistersumpf
ballte die Hände zu Fäusten. »Ich habe ja auch keine Erklärung. Das ist alles so komisch, ich weiß es nicht…«
»Schon gut.« Will Mallmann nickte. Er schaute zum Himmel, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. »Da, Dagmar, sehen Sie. Es wird wieder klar.«
Als würden gewaltige Hände die Wolkenbank zur Seite schieben, so war das Grau verschwunden. Der Himmel präsentierte sich wie blankgefegt. Noch einmal kam die blaue Farbe durch, ein letztes Atemholen vor der Dunkelheit.
»Wollen Sie zurück?« fragte Will. Dagmar hob die Schultern. »Ich weiß nicht so recht.«
Sie schaute den Kommissar an. »Und Sie?«
»Ich will mir das Moor anschauen. Naß genug sind wir ja. Uns kann eigentlich nichts mehr überraschen. Aber wenn Sie meinen, daß…«
»Nein, nein, Will, ich gehe mit.«
»Dann kommen sie.«
Die beiden gingen nicht, sie wateten. Ihre Füße schleiften durch das Wasser, das bei jedem Schritt hoch aufspritzte. Der Regen hatte aufgehört, nur noch von den Bäumen fielen die Tropfen und klatschten gegen ihre Rücken.
Der Weg war gar nicht mehr zu sehen. Das gesamte Moor hatte sich in einen gewaltigen See verwandelt.
»Es ist unwahrscheinlich«, sagte Will Mallmann. »In solch kurzer Zeit steht alles unter Wasser.«
Dagmar Diefenthal nickte. Sie war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt und brachte kein Wort hervor. Will konnte es ihr nachfühlen. Es mußte für die junge Wissenschaftlerin ein Schock gewesen sein, plötzlich ihren Vater zu sehen. Ob sie überhaupt gemerkt hatte, daß sie einer Geisterscheinung gegenübergestanden hatte?
Kaum, sonst hätte sie bestimmt etwas gesagt.
Kommissar Mallmann hütete sich, auch nur ein Wort davon zu erwähnen. Zudem wurde er das Gefühl nicht los, daß sie beide am Beginn eines gewaltigen Falls standen, der noch seine makabren Kreise ziehen würde. Was ging in diesem geheimnisvollen Geistermoor vor? Welche Kräfte hatten sich dort versammelt?
Will wollte der Frage nachgehen und auch eine Antwort finden, das nahm er sich fest vor.
Manchmal sanken sie bis über die Knie im Schlamm ein. Durch das Wasser war der Unterboden hochgespült worden, eine trübe, grünbraune Brühe, durchsetzt mit Algen und allerlei Getier.
Doch das Wasser floß ab.
Es fand seinen Lauf, blieb nicht stehen. Beide Wanderer hatten das Glück, daß sie nicht vom Weg abkamen.
Noch einmal schien die Sonne. Schräg schickte sie ihre Strahlen auf das Moor, wo sich über dem Wasser dicke, dampfende Schwaden bildeten, die sich zu Nebelwolken vereinigten.
Dagmar blieb stehen. »Wir sind gleich da«, sagte sie und deutete nach rechts, wo die hohen Weiden und Erlen nicht mehr wuchsen, sondern nur noch Buschwerk seine Zweige aus dem Wasser reckte.
Zehn Minuten dauerte ihr Weg, dann standen sie vor dem Ziel ihrer Wanderung.
Es war gewaltig.
Ein Krater mitten im Sumpf!
Sie standen am weichen lehmigen Rand und schauten in die Tiefe, wo sich durch den Regen ebenfalls ein regelrechter See gebildet hatte. Trotzdem war das Wasser nicht hoch genug, um den Müll zu verdecken, der dort hineingekippt worden war.
Da schwammen Bretter, weiche Kartons und Kisten auf der Oberfläche. An dem Rand gegenüber hatte sich eine Metalltonne im Buschwerk festgehakt. Sie war verrostet und sah schon aus dieser Entfernung undicht aus.
»Das ist das übel!« flüsterte Dagmar. Sie deutete auf die Tonne.
Will nickte. Er dachte über den Geistersumpfe nach. Die Leute, die davon sprachen, hatten sich wirklich etwas dabei gedacht. Dieser Teil des Sumpfs besaß schon eine geisterhafte Ausstrahlung. Es war nicht der Nebel, der über dem Wasser dampfte, sondern die gesamte Atmosphäre.
Da quakte kein Frosch, da schnatterte kein Sumpfvogel, es war still. Eine tödliche Stille.
»Hier liegt eine Zeitbombe«, sagte Dr. Dagmar Diefenthal mit sehr ernster Stimme. Sie deutete nach rechts, wo am Rand des Kraters der große Bagger stand.
Sein Metall war gelb lackiert worden, der Greifarm stand schräg, und die geöffneten Backen der Schaufel hingen über dem Wasser. Der Bagger wirkte wie ein gewaltiges stählernes Untier.
Plötzlich huschte etwas auf sie zu. Es kam aus der Luft. Unwillkürlich zogen beide die Köpfe ein und hörten das Summen dicht an ihren Ohren.
Will schlug nach dem Tier. Es klatschte gegen seine Handfläche und fiel zu Boden.
Der Kommissar bückte sich. Seine Augen wurden groß. Sprachlosigkeit zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Was vor ihm am Boden lag, war eine Fliege.
Aber was
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