0173 - Die Werwolf-Sippe
nickte.
»Sind Sie dienstlich oder privat hier?«
»Das kann man bei meinem Job nie so ganz trennen«, erwiderte ich. »Auf jeden Fall möchte ich gern mit Ihnen unter vier Augen reden.«
»Natürlich.« Der braungebrannte Kapitän nickte. Dann deutete er auf den Wolf. »Allerdings will ich dieses Tier in seinem Käfig wissen. Sperren Sie ihn ein, Lady!«
Silva hob die Schultern. Sie pfiff durch die Zähne. Mit ihr zusammen setzte sich auch der Wolf in Bewegung. Dann öffnete Silva die Käfigtür. Mit einem Satz sprang der Wolf auf den Wagen. Vor unser aller Augen schloß die Frau ab.
»Reicht das?« fragte sie.
»Vorerst«, erwiderte der Kapitän.
Ich zog den Mann zur Seite und erklärte ihm mit wenigen Worten, was vorgefallen war.
»Sie wollen den Vorgang unter den Tisch fallen lassen, Oberinspektor?« erkundigte er sich.
»In gewisser Weise ja.«
»Aber das ist unmöglich.« Er breitete die Arme aus und hob die Schultern. »Mrs. Gibson will Anklage erheben. Gerade gegen diese Frau, und sie…«
»Käpt’n, ich werde mit Mrs. Gibson reden.«
»Wenn Sie mehr Erfolg haben sollten, würde mich dies wundern. Ich kann nur nicht einsehen, daß Sie einer Meldung entgegenwirken. Ich habe Ihr Dokument gesehen und weiß, welche Machtbefugnisse Sie besitzen. Ist es vielleicht doch ein Fall?«
»Möglich.« Ich setzte ein rätselhaftes Lächeln auf. Es gibt ja Momente, da hat man seltsame Gefühle. So erging es mir in diesem Augenblick. Ich konnte mir einfach nicht helfen, aber irgendwie glaubte ich, daß diese Silva und ihre Wölfe etwas mit meinem neuen Fall zu tun hatten.
»Schicken Sie doch eine schriftliche Meldung an Scotland Yard nach London«, sagte ich. »Dann sind Sie gedeckt.«
Der Kapitän war einverstanden.
Ich sprach mit Mrs. Gibson. Sie bedankte sich ein paarmal bei mir, doch ich wehrte ab.
»Kann ich denn irgend etwas für Sie tun?« erkundigte sie sich und kam mir mit dieser Frage sehr entgegen.
»Ja, Mrs. Gibson. Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie die ganze Sache auf sich beruhen ließen.«
»Meinen Sie das im Ernst?«
»Natürlich.«
»Aber warum? Diese Bestien sind gemeingefährlich. Heute haben sie uns angegriffen, morgen sind es vielleicht andere…«
»Das weiß ich alles, Mrs. Gibson. Ich habe allerdings berechtigte Interessen, die ganze Sache unter den Tisch zu kehren.«
»Sie sind von der Polizei, nicht?«
»Ja.«
»Gut, dann will ich mal nicht so sein.« Die Frau wurde merklich stolz, weil sie mir einen Gefallen getan hatte.
Ich bedankte mich per Handschlag bei ihr.
Kurz danach kam es zu einem Zwischenfall, dem ich im ersten Augenblick kaum Bedeutung beimaß, mich später jedoch sehr genau daran erinnern sollte.
Der Kapitän gab Anweisung den Kadaver des Wolfs wegzuräumen. Bisher hatte sich die Blonde so ziemlich im Hintergrund gehalten, doch nun trat sie vor.
»Bitte, Käpt’n. Ich habe sehr an dem Tier gehangen, und möchte nicht, daß Sie es so ohne weiteres über Bord werfen. Wenn Sie erlauben, nehme ich die Leiche zu mir.«
»Ich verstehe Sie nicht. Sie wollen das tote Tier…?«
»Zu mir nehmen, ja.«
Der Kapitän wußte nicht, wie er reagieren sollte. Ich kam hinzu, und er warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. »Haben Sie gehört, Mr. Sinclair, was diese Lady verlangt?«
»Das schon.«
»Was sagen Sie dazu?«
Ich gab ihm keine Antwort, sondern wandte mich an die blonde Silva. »Was wollen Sie mit der Tierleiche?«
Sie schaute mich an. Ihre Augen waren irgendwie blaß, man konnte die Farbe nicht genau bestimmen. Vielleicht lag es auch an der schlechten Beleuchtung hier unten. Sehr viele Lampen brannten nicht.
»Ich hänge sehr an den Tieren«, erklärte sie mir. »Und ich möchte nicht, daß der Wolf in einer Abdeckerei landet. Ich selbst werde ihn begraben.«
»Und wo?«
»Wenn wir an Land sind.«
»Die französischen Gesetze sind mir nicht so geläufig«, erklärte ich ihr. »Allerdings weiß ich aus England, daß es verboten ist, Hunde oder irgendwelche andere Tiere im eigenen Garten oder in öffentlichen Parkanlagen zu verscharren.«
»Das habe ich auch nicht vor.«
»Sondern?«
»Dieser Wolf bekommt einen Platz auf dem Hundefriedhof von Calais, Mr. Sinclair.«
Was sollte ich dagegen sagen? Nichts. Wenn sie es so wollte, meinetwegen.
Ich nickte.
»Dann sind Sie also einverstanden?«
»Hindern kann ich Sie nicht.«
»Ich danke Ihnen.«
»Das sagen Sie lieber dem Kapitän.«
Es wurden noch einige Dinge geklärt.
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