0175 - Der unheimliche Totengräber
dunklere Kruste, auf der Kristalle glänzten. Doch damit zeigte er sich zufrieden. Wenn er Menschenblut hatte, konnte er den Trank vielleicht wieder herstellen. Er stellte die Schale wieder weg und drückte auch den Stein in die Öffnung.
Jetzt wußte er mehr.
Von seinem ursprünglichen Plan, die Familie des Herzogs zu bestrafen, hatte er nicht Abstand genommen. Er mußte sich nur entscheiden, wie er es anstellen sollte.
Früher hatte er immer auf dem alten Bett gelegen und darüber nachgedacht. Es waren Reaktionen gewesen, die auch die lange Zeit nicht hatte vergessen machen können, deshalb erinnerte sich Jock Gray wieder daran.
Als er vor dem Bett stehenblieb, spürte er wieder die Gefahr. Jetzt deutlicher.
Etwas lauerte hier.
Ein Feind!
Er hatte seinen Spaten mitgenommen. Auf diese Waffe wollte er einfach nicht verzichten.
Jock Gray sah nichts. Niemand außer ihm hielt sich in der Hütte auf. Von Spinnen, Käfern und anderen Kriechtieren einmal abgesehen.
Der Totengräber setzte sich auf das Bett. Eine alte feuchte Matratze war noch vorhanden, aber nicht die, die er einmal gehabt hatte. Sie mußte nachträglich auf das Bett gelegt worden sein, von irgend jemand, der hier übernachtet hatte.
Jock sah auch die feuchten Flecken auf der Matratze. Sie kamen ihm vor wie Blut.
Dann legte er sich hin.
Es war ein gutes Gefühl, so wie damals, und der Untote grunzte vor Wohlbehagen. Er ließ sogar den Spaten aus der Hand und vergaß für einen Moment die drohende Gefahr.
Sie war noch vorhanden.
Und zwar stärker als zuvor.
Nur sah oder bemerkte Jock sie nicht, denn sie befand sich nicht vor oder neben ihm, sondern unter dem Bett.
Plötzlich spürte er einen scharfen Ruck im Nacken, der sich fortpflanzte, und als er an seinem Gesicht entlangschielte, sah er die rostige Säbelspitze, die aus seiner Kehle schaute. Jemand hatte sie ihm von unten her durch den Hals gestoßen!
***
Der rote Wein sah aus wie Blut, und er befand sich in schweren Kristallgläsern, die wir in den Händen hielten.
Wir, das waren Lady Anne, Sheila Conolly, Sir Sheldon, Bill und ich.
Zusammengekommen waren wir im Arbeitszimmer des Herzogs, einem großen rechteckigen Raum, der sicherlich 60 Quadratmeter und mehr maß. Die Wände waren mit Bücherregalen vollgestellt. Es gab eine lederne Sitzgruppe und einen Schreibtisch, für den jeder Antiquitätenhändler ein Vermögen gezahlt hätte.
Der Viscount hatte die Vorhänge zugezogen und dafür die Wandlampen eingeschaltet. Ihr Schein fiel auch auf die leicht grünlich schimmernde Seidentapete und berührte mit seinen Ausläufern noch den Kronleuchter unter der Decke.
Wir tranken.
Die übrigen Gäste der Jagdgesellschaft waren gefahren. Morton lag bereits im Krankenhaus. Sir Sheldon erkundigte sich soeben nach seinem Befinden.
»Ja danke, dann rufe ich später noch einmal an«, sagte er zum Abschluß und legte auf. Er drehte sich. Gespannt schauten wir ihn an.
»Wie geht es ihm?« fragte Lady Anne.
Sheldon holte ein Tuch aus der Innentasche und tupfte den Schweiß von der Stirn. »Nicht gut, die Ärzte sind ein wenig pessimistisch. Er hat zuviel Blut verloren.«
Lady Anne wurde bleich und faltete die Hände. »Mein Gott, hoffentlich kommt er durch.«
Wir nickten betreten.
Der Herzog schaute mich an. »Mr. Sinclair, wie kommt es, daß gerade unsere Familie diese Schrecken erleiden muß?«
»Den Grund weiß ich auch nicht. Er muß in der Vergangenheit liegen.«
»Sie denken an den Totengräber?«
»Ihn jedenfalls hat Mr. Morton erwähnt.«
»Könnten das Fieberfantasien gewesen sein?«
»Das glaube ich nicht. Zudem haben wir selbst ein, sagen wir ruhig, aufgebrochenes Grab gesehen.«
Lady Anne hatte die Augen weit aufgerissen. »Das kann ich nicht begreifen. Wie können Tote lebendig werden?«
Ich hob die Schultern. »Verlangen Sie bitte keine konkrete Antwort von mir, Mylady. Ich weiß es selbst nicht genau. Außerdem ist es nicht der richtige Zeitpunkt, nach Gründen zu suchen. Wir müssen uns fragen, was wir dagegen unternehmen können und uns erst einmal mit den Tatsachen abfinden.«
Lady Anne nippte an ihrem Glas. »Ich dachte immer, daß die Geschichte mit diesem Totengräber nur eine Legende war.«
»Wie sehen denn die genauen Fakten aus?« fragte Bill Conolly.
Er erntete erst einmal Schweigen. Schließlich räusperte sich Sir Sheldon Quinnthorpe. »So genau weiß das niemand von uns. Die Geschichte verliert sich immer im Netz der Fabel und Legende. Ich kann Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher