0175 - Der unheimliche Totengräber
seine Augenbrauen anhob. Fragen stellte er nicht.
»Sagen Sie doch was!« forderte der Herzog.
»Sir, es ist nicht meine Art, Anordnungen Ihrerseits durch Fragen zu…«
»Schon gut, Harry, aber ich möchte Ihre Meinung hören.«
»Es wird mit der Verletzung des armen Mr. Morton zusammenhängen, wie ich annehme?«
»Genau.«
»Und vorhin hat jemand das Haus verlassen.«
»Das war Oberinspektor Sinclair, Harry. Er will den Täter finden. Wir müssen davon ausgehen, daß ein Mörder versuchen wird, dieses Haus hier zu betreten.«
»Sir.« Harry räusperte sich und tastete unwillkürlich nach seiner Kehle.
»Ja, leider ist es so. Deshalb möchte ich Sie bitten, darauf zu achten, daß sich das Personal nur in einem Raum aufhält und nicht durchs Haus geht. Ich will nicht, daß jemand dem Totengräber in die Klauen läuft.«
»Totengräber, Sir?«
»Ja, Harry. Dieser Mörder ist ein Totengräber. Aber einer, der schon seit hundert Jahren unter der Erde liegt.«
»Oh.«
Der Herzog lachte, stand auf und schlug seinem Diener auf die Schulter.
»Harry, auch ich war so überrascht wie Sie. Aber glauben Sie mir, es gibt ihn tatsächlich.«
»Natürlich, Sir, ich habe keinen Grund, an Ihren Worten zu zweifeln.«
»Um so besser.« Der Herzog verschwand wieder und ließ seinen Butler zurück.
Harry zog die Schöße seiner Weste glatt. Er atmete durch die Nase ein und dachte über die Worte des Mannes nach. Wenn er seinen Brötchengeber nicht lange genug kennen würde, dann hätte er ihn glatt für einen Spinner gehalten, aber so war er da nicht sicher. Zudem hatte sich der Herzog immer korrekt verhalten und wenn er jetzt von einem Totengräber sprach, der eigentlich vor hundert Jahren gestorben war, dann konnte dies durchaus seine Richtigkeit haben. Obwohl Harry so recht nicht daran glauben wollte.
Ihm stand jedoch nicht das Recht zu, die Worte seines Arbeitgebers zu kritisieren. Wenigstens ging Harry davon aus, der von moderner Mitbestimmung nicht einmal etwas gelesen hatte.
Im kleineren Rahmen war er der Chef. Das galt für das übrige Personal.
Zumeist hielten sich die Leute in der Küche auf. Es war sowieso für diesen Tag verstärkt worden, denn der Herzog hatte vorgehabt, die Jagdgesellschaft einzuladen. Aus dem Fest oder dem Abend wurde nichts, ein unheimlicher Totengräber hatte ihn torpediert.
Vier Frauen und ein Mann hockten in der Küche beisammen. Die Mädchen trugen schwarze Kleider und weiße Schürzen, der Mann die Kluft eines Obers.
Harry hielt eine kurze Ansprache und teilte dem Personal die Wünsche seines Chefs mit.
Natürlich wurde er mit Fragen bestürmt, doch Antworten gab er nicht. Er war zur Verschwiegenheit vergattert worden. »Bitte, bleiben Sie zusammen«, sagte er immer wieder. »Es ist das einzige, was ich ihnen sagen kann.«
»Sind wir in Gefahr?« wollte der Ober wissen. »Ja.«
Betretenes Schweigen folgte, bis ein Mädchen meinte: »Wie wäre es, wenn die Polizei geholt wird?«
»Die ist schon alarmiert worden.«
»Davon haben wir nichts gehört.«
»Es wurde nicht offiziell gemacht.« Mit dieser Antwort war für den Butler das Thema erledigt. Er wandte sich um und ging davon. Natürlich hätte auch er beim Personal bleiben sollen, doch als pflichtbewußter Mensch hatte er sich vorgenommen, noch einmal alles zu kontrollieren. Vor allen Dingen die Fenster. Er wollte nicht, daß irgendeins offenstand, was ein Eindringen allzu einfach machte.
Harry wußte, wo sich der Herzog mit seinen Gästen aufhielt. Er wandte sich dem Westflügel des großen Landhauses zu und kontrollierte hier die Räume.
Es waren meist Gästezimmer. Acht an der Zahl. Manche mit mehreren Fenstern versehen. Von den meisten hatte Harry einen Blick in den gepflegten Park, der das Landhaus umgab. Die wohlgestutzten Bäume kamen ihm an diesem Tage direkt unheimlich vor. Überall konnte der geheimnisvolle Totengräber lauern, und Harry beschlich ein ungutes Gefühl.
Die Fenster waren allesamt verschlossen. Da konnte er aufatmen.
Aber das Haus besaß auch mehrere Türen. Und zwar an der Rückseite.
Hier war es für einen Einbrecher besonders einfach, das Haus zu betreten.
Über eine Hintertreppe näherte sich der Butler dem Erdgeschoß. Seine Schritte waren kaum zu hören, weil ein auf den Stufen liegender Teppich sie dämpfte.
Er gelangte in einen Flur, der gekachelt war. Er führte auch zum Keller und zu den Wirtschaftsräumen.
Der Butler ging ihn entlang. Stille umgab ihn, er hörte nur seine
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