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0176 - Der Pestvogel

0176 - Der Pestvogel

Titel: 0176 - Der Pestvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Tenkrat
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Katakombenführung war zu Ende. Eine kleine Gruppe von Leuten stieg beeindruckt die Stufen zum Domplatz hoch, verweilte noch einen Augenblick an der Stelle, wo Wolfgang Amadeus Mozarts Sarg eingesegnet worden war, und bezahlte anschließend den Führungsbeitrag.
    Manfred Mock gesellte sich zu dem Mann, der die Führungen alle dreißig Minuten leitete. Eine rothaarige Frau blieb plötzlich erschrocken stehen.
    »Meine Handtasche. Ich habe meine Handtasche dort unten irgendwo stehen gelassen. Mein Gott, wie dumm von mir.«
    »Sie kriegen sie wieder«, versprach der Küster. »Ich hole sie Ihnen.« Es machte ihm nichts aus, sich allein in die unheimlichen Katakomben zu begeben. Er war schon oft allein dort unten gewesen. Warum hätte er sich vor den aufgeschichteten Skeletteilen und Totenschädeln fürchten sollen?
    Mock stieg die Stufen hinunter und schritt einen schmalen Gang entlang. Stille herrschte in den unterirdischen Räumen. Nur Mocks Schritte hallten von den feuchten Wänden wider.
    Allmählich nistete sich in Mocks Herz doch die Angst ein. Er dachte an den gespenstischen Totenvogel, den er gestern gesehen hatte und der auch seiner kranken Frau erschienen war.
    Der Küster bekam die Gänsehaut. Er ging an Urnen, Sargnischen und Sarkophagen vorbei, suchte in verzweigten Gängen und geöffneten Grabkammern nach der vergessenen Handtasche, konnte sie aber nirgendwo entdecken.
    Je länger er sich in den Katakomben aufhielt, desto unangenehmer wurde seine Angst. Er befürchtete, dem Totenvogel wieder zu begegnen. Bei diesem Gedanken rieselten ihm kalte Schauer über den Rücken.
    Er beeilte sich, ging schneller.
    Plötzlich vernahm er das Stöhnen und Röcheln wieder.
    Die schaurigen Geräusche nagelten ihn auf der Stelle fest. Er schluckte aufgeregt und blickte sich nervös um. Hinter ihm war eine hohe Wand aus alten Ziegeln. Er wußte, daß sich dahinter eine Grabkammer befand, in der viele Pesttote bestattet worden waren.
    Der Küster vernahm ein Schaben und Kratzen, als wäre Leben hinter dieser Ziegelwand.
    »Unmöglich«, preßte Manfred Mock beunruhigt hervor. »Das gibt es nicht. Hinter dieser Mauer kann kein Lebender sein…«
    Er wollte weitergehen, um die Handtasche zu suchen, aber es war ihm nicht möglich, sich von der Stelle zu rühren. Gebannt starrte er die häßliche Ziegelmauer an.
    Ein Riß bildete sich plötzlich in ihr. Ein Ziegel bewegte sich, wurde von innen herausgeschoben, fiel auf den Boden. Ein zweiter Ziegel folgte. Eine schwarze Öffnung entstand.
    Verdattert ging Manfred Mock darauf zu.
    Da schoß eine schwielige Hand durch das Loch. Ein schorfiger Arm streckte sich dem entsetzten Küster entgegen, über und über mit zum Teil aufgebrochenen Pestbeulen bedeckt.
    Mock hatte das Gefühl, es müsse ihn gleich der Schlag treffen!
    ***
    Verärgert betrat ich die Hotelhalle. Vladek Rodensky erhob sich und kam mir entgegen. »Was ist Ihnen denn über die Leber gelaufen, John? Gefällt Ihnen Ihr Zimmer nicht?«
    »Das Zimmer ist okay.«
    »Worüber haben Sie sich geärgert?«
    Ich erzählte ihm von dem anonymen Anruf. Er wiegte besorgt den Kopf. Es gefiel ihm genausowenig wie mir, daß die Gegenseite von unseren Absichten wußte, während ich noch keine Ahnung hatte, was gespielt wurde.
    Wir verließen das Hotel. Rodenskys Rover blieb in der Tiefgarage stehen. Es war nicht weit bis zum Stephansdom. Das kurze Stück bis dorthin konnten wir bequem in zehn Minuten zurücklegen.
    In der Wollzeile kamen wir an zwei Kinos vorbei, in denen Filme liefen, die bei uns in London schon vor einem halben Jahr zu sehen gewesen waren. Eine dralle Wienerin warf mir einen interessierten Blick zu. Sie stand vor einem kleinen Münzgeschäft und hätte bestimmt nichts dagegen gehabt, wenn ich sie angesprochen hätte. Aber ich hatte im Moment andere Sorgen.
    Als wir den Stephansplatz erreichten, kamen uns Leute entgegen, die sich die Katakomben angesehen hatten. Wir hörten sie über die Führung reden. Vladek Rodensky kannte den Mann, der die Führungen leitete. Eine rothaarige Frau stand neben ihm, und wir erfuhren, daß sie ihre Handtasche in den Katakomben vergessen hatte. Manfred Mock war gerade unten, um sie zu suchen.
    Einer Eingebung folgend, äußerte ich den Wunsch, die Katakomben ebenfalls aufzusuchen. Mein Gefühl riet mir, ich solle mich dort unten mal umsehen, mir einen ersten Überblick verschaffen.
    Vladek und ich stiegen die Stufen hinunter.
    Eine kühle, seltsame Welt nahm uns unten gefangen. Es

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