018 - Die Vampirin Esmeralda
Tribunal noch rechtzeitig herausfinden. Spiele uns also nicht die geborene Unschuld vor. Ich möchte hören, wie es um deine übersinnlichen Fähigkeiten steht. Willst du uns nicht eine Kostprobe geben?«
Esmeralda biß sich auf die Lippe. Sie befand sich in einem Dilemma. Wenn sie beharrlich schwieg, wartete auf sie die Folter, mit der man jedes Geständnis aus ihr herauspressen würde. Tat sie dagegen so, als könnte sie zukünftige Geschehnisse voraussagen, dann konnte es passieren, daß man sie als überführt erklärte und sie sofort aburteilte; andererseits konnte sie sich aber auch vielleicht eine Galgenfrist verschaffen.
»Ich werde versuchen, Eurem Wunsche nachzukommen«, sagte Esmeralda demütig. »Ich brauche aber Eure Hilfe dazu.« Sie registrierte zufrieden, daß der Inquisitor zusammenzuckte. Eine Hexe erbat für ihre Zauberei seine Unterstützung!
Esmeralda fuhr fort: »Da ich mein Gedächtnis verloren habe, bitte ich Euch, mir zu sagen, welchen Tag wir heute haben.«
Lucero wurde etwas unsicher. Er wußte nicht recht, ob sich diese Hexe über ihn lustig machen wollte. Deshalb antwortete er ihr nicht selbst, sondern veranlaßte den Konsulator durch einen Wink, es für ihn zu tun.
»Heute ist der 20. September des Jahres 1506.«
Esmeralda hatte die Augen geschlossen. Sie atmete auf. Es war ein für ihre Zwecke gutes Datum. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie aller Blicke auf sich gerichtet. Man betrachtete sie mehr oder weniger gespannt, skeptisch und belustigt. Nun, den Zweiflern würden in spätestens sechs Tagen die Augen vor Überraschung übergehen, wenn ihre Prophezeiung Wirklichkeit wurde.
»Wenn heute der 20. September ist, dann wird in sechs Tagen Philipp von Kastilien sterben. Dies wird sich am 26. September zutragen.«
Empörte Stimmen wurden laut. Der Inquisitor Termado sprang wie von der Tarantel gestochen auf und drohte anklagend mit der Faust. »Diese Hexe, die Philips Tod wünscht, soll auf der Stelle verbrannt werden!« schrie er in seiner Wut.
Lucero blieb ruhig. Er warf Esmeralda einen undefinierbaren Blick zu, dann wandte er sich an seinen Kollegen. »Seid nicht zu vorschnell in Euren Beschlüssen, verehrter Termado«, sagte er süffisant. »Diese Hexe hat nicht Philipps Tod gewünscht, sondern prophezeit. Und wenn ihre Weissagung zutrifft und Philipp wirklich stirbt, werde ich wieder Inquisitor von Cordoba sein und Ihr könnt dann einen guten Freund brauchen. Warten wir also bis zum 26. September. Dann wird sich von selbst ergeben, was mit der Hexe Esmeralda zu geschehen hat. Solange solltet Ihr aber mit dem Urteil warten.«
Als man Esmeralda nach einer endlos scheinenden Zeit wieder aus dem Kerker holte, sie neuerlich einkleidete und ihr sagte, daß sie Lucero vorgeführt werden sollte, sah sie dieser Begegnung mit großer Spannung entgegen. Sie fand im Park Jardines del Alcazar statt, der von hohen Mauern umgeben war. Überall waren die Soldaten der Inquisition zu sehen, die nicht nur die Santas Casas, die Kerker für die Ketzer, bewachten, sondern auch für die Sicherheit der Inquisitionsbeamten verantwortlich waren.
Lucero erwartete sie in einer Laube, auf einer Steinbank sitzend. Er trug keine Festkleider, sondern eher ein einfach wirkendes Ordensgewand. Der Kerkermeister hatte Esmeralda persönlich hergebracht und wartete nun mit zwei Wärtern in zwanzig Schritten Entfernung.
Esmeralda kniete vor Lucero nieder, der sich von ihr die Hand küssen ließ. Als sie von unten zu ihm hochblickte, glaubte sie, einen Ausdruck von Zufriedenheit in seinem sonst verschlossenen Gesicht zu sehen.
»Erhebe dich, Esmeralda!« forderte er sie auf. »Möchtest du nicht wissen, welchen Tag wir heute haben?«
»Doch, Eure Eminenz«, sagte sie erwartungsvoll, ohne sicher zu sein, daß sie die richtige Anrede gewählt hatte. »Ich brenne darauf, es zu erfahren.«
Leiser Spott klang in seiner Stimme mit, als er sagte: »Als Hellseherin müßtest du aber doch wissen, daß heute der 27. September ist.«
»Ich bin nicht allwissend«, gestand sie. »Aber dafür weiß ich, daß Philipp von Kastilien das Zeitliche gesegnet hat und Ihr nun wieder Inquisitor von Cordoba seid.«
»Deine Voraussage ist eingetroffen«, sagte Lucero anerkennend. »Oder hast du bei seinem Tod etwa gar mitgeholfen?«
Esmeralda wurde blaß. »Eure Eminenz! Ich schwöre Euch, daß ich völlig unschuldig daran bin.«
»Wie dem auch sei, ich könnte dich nun, da du durch deine Weissagung als Hexe überführt
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