0182 - Mord ist kein Geschäftsbetrieb
knurrte ich, »ich kann nicht den ganzen Tag in deiner Bude sitzen. Ich gehe jetzt nach draußen, um ein wenig Luft zu schnappen«.
»Das hat Chester verboten«, kläffte er.
»Unsinn! Es ist dunkel. Ich werde schon aufpassen und den Cops aus dem Wege gehen.«
»Wenn Chester gesagt hat, dass du hierzubleiben hast, dann hast du dich daran zu halten.«
»Willst du mich hindern?«
Er sah jetzt aus wie ein wütender Geier.
»Ich werde es Chester sagen.«
»Okay, okay«, beruhigte ich ihn. »Ich will keinen Streit. Rufe deinen Chester an und lass mich mit ihm sprechen.«
»Das geht nicht!«
»Warum? Hast du kein Telefon?«
Er hielt mir einen dürren Zeigefinger unter die Nase.
»Ich will dir mal etwas sagen, mein Junge. In diesem Verein handelt niemand selbstständig. Man kann Chester nicht anrufen wie die Zug-Auskunft am Hauptbahnhof. Chester bestimmt, was gemacht wird. Er ruft an, aber er wird nicht angerufen.« ’
»Mit einem Wort: Du weißt nicht einmal seine Telefonnummer.«
Es gelang mir, ihm ein mürrisches Nein zu entlocken.
Ich tat, als gäbe ich meine Absicht auf.
»Schöner Verein, in den ich geraten bin«, knurrte ich. »Wenn es Chester passt, kann ich ein Vierteljahr in deinem Rattenloch zubringen. Bei den Luxusmahlzeiten, die du mir bietest, werde ich dann höchstens noch zum Totschlägen von Fliegen fähig sein.«
»Wenn du es bezahlst, hole ich dir jeden Abend einen ganzen Truthahn«, antwortete Woodman höhnisch. »Scher dich jetzt rüber in dein Zimmer.«
Ich benutzte den Weg durch den Hof, um mir eine Stelle der Mauer näher anzusehen, die mir tagsüber ins Auge gestochen war. Die Mauern hatten mehr als doppelte Mannshöhe und waren außerdem auf der Zinne mit zweifachem Stacheldraht bewehrt, der allerdings teilweise verrottet zu sein schien. An der Stelle, die ich abtastete, war in etwa einem Yard Höhe ein halber Stein ausgebrochen, sodass ich von dort aus die Zinne erreichen konnte. Mit dem Stacheldraht hoffte ich, fertig zu werden. Wie es hinter der Mauer aussah, wusste ich. Von Woodmans Küchenfenster aus konnte man in die Höfe der benachbarten Häuser sehen. Es waren die typischen Höfe typischer Mietskasernen, vollgestopft mit Mülltonnen, alten Kisten und Gerümpel. Ich hoffte, dass ich von dort aus einen Weg auf die Straße finden würde.
Das größte Problem bei meinem Ausbruchsversuch bildete Woodman. Ich wusste nicht, wann sich das Gespenst schlafen legte. Nicht einmal das Löschen des Lichtes gab mir einen Hinweis. Nun, ich würde mich ein wenig auf mein Glück verlassen müssen.
***
Die Leuchtziffern meiner Armbanduhr zeigten zwei Uhr nachts, als ich mein Glück versuchte. Lautlos erhob ich mich von meiner Pritsche. Die Ratten erschraken und rannten quiekend zu ihren Löchern, aber sonst blieb es still. Ich betrat den Hof und wartete volle zehn Minuten. Als sich nichts regte, tastete ich mich zu jener Mauerstelle, die ich ausgemacht hatte.
Ich fand die Lücke, setzte den rechten Fuß hinein, sammelte alle Kräfte und versuchte in einem Sprung die Kante zu erreichen.
Es gelang, obwohl mein Fuß in dem Augenblick abrutschte, in dem meine Finger sich festklammerten. Ich zappelte ein wenig, fand die Lücke wieder und konnte mich hochziehen.
Sehr vorsichtig balancierte ich über den Stacheldraht hinweg und ließ mich auf der anderen Seite hinuntergleiten.
Ich kam glatt und ohne ein Geräusch zu verursachen unten an.
Schrittweise tastete ich mich über den fremden Hof. Ich hielt beide Arme vorgestreckt, um nicht an irgendetwas zu stoßen. Ich erreichte die Mauer des Hauses. Ich hatte gesehen, dass es eine Hoftür gab, und ich hoffte, dass sie nicht verschlossen war.
So viel Glück hatte ich leider nicht. Sie war verschlossen, aber ich war vorsichtig genug gewesen, zwei Stück Draht einzustecken, mit denen einer der verstaubten Lorbeerkränze in meinem Zimmer umwunden war. Ich bog den Draht zurück. Obwohl das Türschloss primitiv war, brauchte ich länger als eine halbe Stunde, bis ich es endlich geöffnet hatte. Dann war nur noch der Flur des Hauses zu durchqueren. Die Haustür selbst hatte ein Schnappschloss, das keine Schwierigkeiten machte. Ich stand auf der menschenleeren Beale Street. Mit den besten Wünschen für Sal Woodmans tiefen Schlaf, setzte ich mich in Trab.
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal dringend nach einer Telefonzelle gesucht haben. Wenn ja, dann wissen Sie, dass sie umso schlechter zu finden sind, je dringender man sie braucht. Ich musste bis
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