0183 - Schüsse aus dem Geigenkasten
startete den Motor. Da kam der Bengel auch schon an und schlüpfte hinein.
»Leg den Koffer nach hinten«, sagte ich und fuhr an.
In der Centre Street sprach ich mit dem Sergeanten vom Dienst.
»Der Junge hier kommt in Schutzhaft. Sorgen Sie dafür, dass er anständig behandelt wird. Zigaretten schicke ich Ihnen. Wenn er etwas will, soll er an mich schreiben. Das Einzige, was nicht geschehen darf, ist, dass er unter seinem Namen eingetragen wird. Er heißt ab jetzt Bill Robinson.«
»Okay, Billy«, sagte der Sergeant. »Ich muss dir nur eine Frage stellen. Bist du mit dem, was der G-man sagt, einverstanden?«
»Ja«, antwortete er kleinlaut.
Ich ließ ihm eine Packung Zigaretten und fünf Dollar da, damit er sich besorgen konnte, was er noch brauchte. Dann schwirrte ich ab.
Im Office war allerhand los. Es schien nun doch so, als seien die Gangster der Mafia und des Syndikats zu offenen Feindseligkeiten übergegangen. Überall, in Klein-Italien, im Böhmenviertel und sogar in der Chinesenstadt brodelte es.
Es war zu Prügeleien, Messerstechereien und Schießereien gekommen. Vier Kneipen waren demoliert worden, und an der Bowery hatte man zwei erstochene Italiener gefunden, von denen wenigstens einer unbedingt zur Mafia gehört hatte.
Die Stadtpolizei hatte den Streifendienst verstärkt, und auch bei uns war Alarmbereitschaft.
»Was hast du herausbekommen?«, fragte Neville, dem ich gerade in die Finger lief.
»Eine ganze Menge. Ich glaube, ich weiß, wo ich Phil und das Mädchen zu suchen habe. Ich war gerade im Begriff, mir von Mr. High die Genehmigung zu erbitten, ein paar Bereitschaftswagen mitzunehmen.«
»Wenn ich dir einen Rat geben darf, Jerry, tu das nicht.« Neville schüttelte den Kopf. »Sobald du mit großem Aufgebot durch die Gegend braust, wissen die Burschen das lange, bevor du ankommst, und du guckst in die Röhre. Nimm dir eine MP mit, und wenn du willst auch mich. Wir beide werden das Kind schon schaukeln. Es kitzelt mich schon die ganze Zeit im rechten Zeigefinder.«
»Mir soll’s recht sein. Du hast in solchen Sachen mehr Erfahrung als ich.«
»Endlich wirst du vernünftig«, grinste unser alter Kollege und fuhr sich durch die grauen Borsten auf seinem Schädel.
»Nach Mott Haven. Ich glaube, ich werde den richtigen Platz nicht verfehlen. Aber warte noch einen Augenblick. Ich will dem Chef Bescheid stoßen.«
»Viel Glück«, wünschte mir Mr. High, und dann sagte er noch: »Ich habe, was ich nur sehr ungern und in Ausnahmefällen tue, die Direktion des Fernsprechamtes gebeten, die Leitung Wrights an einer der unseren zu schalten. Ich glaube, auf diese Art werden wir am schnellsten zum Ziel kommen.«
»Wo erreiche ich Sie später, Chef?«, fragte ich, denn ich wusste, dass auch er sich Phil wegen Sorgen machte.
»Ich bleibe hier, und wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie durch.«
Auf dem Gang erwartete mich bereits Neville. Er trug einen Kasten unterm Arm, der dem des Gangsters, der Carlani erschossen hatte, aufs Haar glich. Ich nahm vorsichtshalber noch drei gefüllte Reservemagazine für meine Smith & Wesson aus der Schreibtischschublade, und dann war es soweit.
Als wir dann im Wagen saßen und mit Sirenengeheul abbrausten, begann der alte Neville zu singen. Es war ein uraltes Gangsterlied, das ich ewig nicht mehr gehört hatte, und er sagte es mit Inbrunst und Leidenschaft.
Ich glaube, er hätte am liebsten einen Indianertanz aufgeführt.
In der Third Avenue, kurz vor der Brücke über den Harlem River, schaltete ich Sirene und Rotlicht aus. Wir konnten uns nicht leisten, Aufsehen zu erregen.
Dann schwenkten wir links um, quer über die Willis Avenue. Zur Rechten lag die grüne kleine Insel des Pulaski Parks.
Die Lagerplätze, Schuppen und Baracken waren verlassen. Es war schon längst Feierabend. Wieder rechts, und da sah ich auch schon von Weitem einen viereckigen, steinernen Kasten mit flachem Dach, der inmitten eines Kohlenlagers stand. Wir stoppten hinter einer Mauer, die uns verbarg. Drüben ratterten Güterzüge vorbei, wurden Wagen umrangiert, gellten Pfiffe herüber.
Die Mauer um den Lagerplatz war hoch, das schwere Tor verschlossen. Schon wollte ich den-Versuch machen, hinüberzuklettern, als Neville in die Rocktasche griff und einen Bund Schlüssel und Dietriche herausfischte.
»Man muss auf alles gefasst sein«, grinste er und machte sich ans Werk.
Zwei Minuten später war das Tor offen. Wir spähten nach drinnen, aber abgesehen von Stapeln Bauholz und
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