019 - Der Sarg des Vampirs
Frau in mittleren Jahren,
sympathisch, ruhig und intelligent, blickte dem Herzog entgegen. De Avillas Stimme zitterte. »Estelle – was ist mit Estelle?«
Die Krankenschwester, die ein einfaches Kleid und ein kleines Häubchen auf
dem schwarzen, zusammengesteckten Haar trug, riss die Augen auf. »Es geht ihr
gut. Was sollte mit ihr sein? Ich hatte ja gesagt, dass ich jede Veränderung
sofort mitteilen würde.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren drängte sich der Herzog an der
Schwester vorbei in das freundlich eingerichtete Zimmer seiner Tochter.
»Estelle«, drang es erleichtert über seine Lippen, als er sah, dass seine
Tochter vor dem Spiegel saß und ihr langes seidig schimmerndes Haar bürstete.
Sie war bleich, aber ihre Augen waren nicht mehr so umschattet wie in den
letzten Tagen.
»Die Temperatur ist heute Abend kaum mehr angestiegen, Durchlaucht«,
bemerkte Schwester Marina, die hinter dem Herzog den Raum betreten hatte.
»Wäre sie transportfähig?«, fragte er, während er an Estelle herantrat und
mit einer leichten Geste ihre rechte Schulter streichelte.
»Sie ist es, vorausgesetzt, dass der Transport nicht zu beschwerlich ist
und nicht zu lange dauern würde.«
De Avilla befand sich in einer Zwickmühle.
Estelle war gefährdet, daran gab es für ihn in diesen Sekunden nicht den
geringsten Zweifel. Er musste sie in Sicherheit bringen.
Doch er hatte Larry Brent versprochen, ihn über jeden seiner Schritte zu
informieren und nichts ohne das Wissen des Amerikaners zu unternehmen. Aber
hier erforderten die Umstände eine umgehende Entscheidung. Er konnte nicht
abwarten. Und vielleicht war es ganz gut so, wenn der PSA-Agent den Ort nicht
kannte, an dem der Herzog seine Tochter zu verstecken gedachte. So kam er nicht
in die Versuchung, im Fall einer tödlichen Gefahr etwas auszuplaudern.
De Avilla bereitete alles vor. Mit Eile, doch
keineswegs überstürzt. Er achtete auf jedes Geräusch im Haus und hielt ständig
den kleinen Revolver, den er seit einiger Zeit mit sich herumschleppte, in der
Rechten, um einer Gefahr sofort begegnen zu können. Dann rief er vom Telefon
seiner Tochter aus den Chef des Hotel
Esplanade in Guadalupe an. Señor Perez war sein persönlicher Freund.
»Ich brauche ein Zimmer.« Der Herzog sprach leise, als fürchtete er, jemand
könne mithören, für dessen Ohren diese Worte nicht bestimmt waren. Er vermied
es absichtlich, den Freund mit dem Namen anzusprechen, oder auch nur die
Bezeichnung des Hotels zu erwähnen, um allen Eventualitäten vorzubeugen. »Es
ist dringend. Ich hoffe, du hast nicht alles belegt.«
»Für dich habe ich immer einen Raum frei«, sagte die Stimme am anderen Ende
der Strippe.
»Es ist für meine Tochter, vielleicht nur für diese Nacht oder einige
Tage.«
»Schon gut, das macht keine Umstände.«
»Sie bringt ihre Krankenschwester mit. Meine Tochter wird dir alles
erklären. Eine große Bitte habe ich an dich: Sie darf das Haus nicht
verlassen.«
»Du kannst dich auf mich verlassen.«
»Vielen Dank! In einer halben Stunde ist meine Tochter bei dir.« Damit
hängte de Avilla ein und bereitete den Wagen vor, was
keine zehn Minuten in Anspruch nahm.
Der Herzog fühlte sich schon ein wenig gelöster. Er hielt es für einen
guten Einfall, dass er sich an Perez gewandt hatte. Das Esplanade war eines der größten Hotels in dem Wallfahrtsort
Guadalupe. Die Ortschaft mit etwa 6000 Einwohnern nahm täglich viele Pilger
auf, so dass die Einheimischen zum Teil vom Strom der Touristen lebten. De Avilla begleitete seine Tochter auf der anderen Seite des
Treppenaufgangs nach unten. Er wollte verhindern, dass sie auf den toten Diener
stieß.
Die Krankenschwester setzte sich erst hinter das Steuer, als Estelle sicher
auf dem Rücksitz saß und eine Decke über die Beine geschlagen hatte.
»Sie fahren durch bis Guadalupe« sagte der Herzog leise. »Sie halten
unterwegs nicht an und verlassen unter keinen Umständen den Wagen! Haben Sie
mich verstanden?«
Die Krankenschwester nickte.
»Sie sind verantwortlich, dass Estelle im Esplanade ankommt! Sorgen Sie dafür, dass sämtliche Wagentüren von
innen gesichert sind, dass niemand sie von außen öffnen kann!« Der Herzog
beugte sich zu seiner Tochter hinüber, küsste sie leicht und meinte: »Ich rufe
in einer halben Stunde im Esplanade an
und erkundige mich. Du selbst wirst auf keinen Fall hier im Schloss anrufen!«
»Nein, Vater.« Estelle de Avillas Stimme klang
schwach. Die junge Frau wusste, wie
Weitere Kostenlose Bücher