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0191 - Fenris, der Götterwolf

0191 - Fenris, der Götterwolf

Titel: 0191 - Fenris, der Götterwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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drehte er sich um und legte den Finger an die Lippen. »Was ist?« wisperte ich.
    »Hörst du es nicht?«
    »Was?«
    »Das Singen.«
    Ich lauschte. Sukos Ohren hatten ihn nicht getrogen. Da sang tatsächlich jemand. Es hörte sich an wie ein Choral. Ein trauriger, fern klingender Gesang von Frauenstimmen, die hell wie das Gloria der Weihnachtsengel klangen.
    »Kannst du dir das erklären?« Suko schaute mich an, wobei er seine Stirn gefurcht hatte.
    »Nein, eigentlich nicht.« Aber seltsam war der Gesang schon, das mußte ich zugeben. Mir lief es sogar kalt den Rücken hinunter. Wir schlichen näher heran. Rechts von uns ragten die düsteren Klostermauern in den Himmel. Nur der Gesang war zu hören, ansonsten umgab uns eine tiefe Stille. Der dichte Nebel dämpfte jeden Laut.
    Vor uns wallte und brodelte es. Alles spielte sich in einer gespenstischen Ruhe ab. Plötzlich verstummte das Singen. Dafür hörten wir Schritte. Im nächsten Augenblick schälten sich die ersten Gestalten zu einer gespenstischen Prozession aus dem Nebel…
    ***
    Mit einem Schrei auf den Lippen fuhr Clarissa, die Äbtissin, von ihrem Lager hoch.
    Es war stockfinster in ihrer Kammer – und kalt. Trotzdem schwitzte sie. Heiße Wellen jagten durch ihren Körper, sammelten sich im Kopf und versuchten, ihn zu sprengen.
    Die schwarzhaarige Frau warf sich zur Seite. Sie dachte nicht mehr an die Bettkante, rollte darüber hinweg und fiel zu Boden, wo sie liegenblieb und ihr erhitztes Gesicht gegen die kühlen Steine preßte. Dabei atmete sie schwer und keuchend. Ihr Körper zuckte, heisere Schreie drangen aus ihrem Mund, und ihr Blut schien zu kochen.
    Das war die Zeit, um zu sterben.
    Sie wußte es, sie hatte es immer gewußt. Der Fluch erfüllte sich nun auf eine grauenvolle Art und Weise. Sie mußte ihm Tribut zollen, es gab keine andere Chance.
    Aber noch kämpfte sie. Clarissa wollte nicht, daß das Böse über sie triumphierte. Es war durch die Mauern des Klosters gedrungen und hatte den Weg zu ihr gefunden.
    Sie mußte das Erbe antreten. Mutter Barbaras Geist war endgültig vernichtet worden, nun war die Reihe an ihr, den Pakt mit den Teuflischen einzugehen.
    Dabei war sie noch so jung. Vierzig Jahre zählte sie erst, und man hatte sie schon zur Äbtissin gewählt. Jede Nonne in diesem Kloster wußte von dem Fluch. Bevor die Frauen in das Kloster eintraten, waren sie restlos darüber aufgeklärt worden. Als Trutzburg stand es hier, um das Böse, das über diesem Platz schwebte, von den Menschen fernzuhalten. Darin sahen die Nonnen ihre Lebensaufgabe.
    Der Teufel sollte nicht in die Herzen der Menschen dringen.
    Es blieb ein Wunschtraum. Dem Satan war es gelungen, hinter die Mauern zu gelangen. Da kannte er kein Pardon, er fand immer seinen Weg, und er zeigte sich auf mannigfaltige Art und Weise.
    Mal als schöner Verführer, dann als gräßlicher Ziegenbock oder als stinkendes Scheusal.
    Aber auch als Wolf…
    Eine andere Lösung gab es für Clarissa nicht. Fenris und Satan waren die Hölle.
    Und die Magie des mächtigen Dämonenwolfs Fenris hatte auch vor dem Kloster nicht gestoppt.
    Die Schmerzen klangen etwas ab. Clarissa konnte sich aus der knienden Haltung erheben. Sie blieb stehen und stützte sich mit beiden Händen am hohen Unterteil des Metallbettes ab.
    Der scharfe heftige Schmerz hatte vorhin ihre Sehkraft beeinträchtigt. Als sie jetzt den Blick hob, sah sie über sich an der Wand den Umriß des viereckigen Fensters. Durch die Bleiglasscheibe war der hinter dem Fenster wallende Nebel nicht zu erkennen. Die Mauern des Klosters – es stammte noch aus dem zwölften Jahrhundert – waren so dick angelegt worden, daß die damaligen Baumeister das Fenster in den granitharten Stein hineingesetzt hatten.
    Die Stürme der Zeit waren zwar nicht spurlos an dem Bauwerk vorbeigegangen, aber es hatte ihnen getrotzt.
    Einige Minuten blieb die Äbtissin Clarissa stehen. Ihr Atem beruhigte sich wieder, und auch der Herzschlag normalisierte sich. Sie konnte es jetzt wagen, ein paar Schritte zu gehen.
    »Heilige Mutter Gottes, beschütze mich und gib mir Kraft auf meinem schweren Weg«, murmelte sie.
    Das Gebet tat gut. Es gab ihr wieder Kraft, und die brauchte sie, denn die nächste Stunde würde schlimm werden. Endlich hatte sie die Kommode neben dem Bett gefunden. Ihre Hände tasteten darüber und fanden auch den kleinen Griff der oberen Schublade. Im Dunklen holte die Äbtissin eine Kerze und Zündhölzer hervor.
    Das erste Streichholz zerbrach,

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