0192 - Die Todessekte
gewagt werden, vor denen jeder Unaufgeklärte zurückschrecken würde.
Zunächst aber galt es, dem Professor zu entwischen. Die Villa war nicht mehr sicher. Ein Glück, daß sie ein Dutzend sicherer Verstecke besaßen und nicht ständig für ihre Zusammenkünfte das gleiche Haus benutzten. Die nächst erreichbare Fluchtburg lag in Bunkyo-Ku, einem Viertel westlich von Ueno. Dort gehörte dem Zirkel eine stillgelegte Fabrik, die einen ausgezeichneten Schutz bot.
Das Ansinnen, den großen Herrn und Meister umzubetten, lehnte Ozaki ab. Mochte der Alte da liegen, wo er sich die letzten vierzig Jahre aufgehalten hatte. Außerdem war es durchaus möglich, daß einer aus Zamorras Begleitung in seiner Unwissenheit den Hexenmeister berührte und in die gewünschte Lage drehte. Dann würde der Meister sich in seine Vertraute, die Katze, verwandeln und in dieser Gestalt das Weite suchen. Mit der Intelligenz des Menschen ausgestattet, würde er schon seinen Weg finden und dann in der Fabrik auftauchen, um sich erneut inthronisieren zu lassen und das Zepter wieder zu schwingen über seine Anhänger.
Die Gesellschaft brach auf und zerstreute sich in alle Winde. Es gehörte zu den einfachsten konspirativen Regeln, daß sich die Bande nicht auf dem direkten Weg zum Treff begab und dort nicht geschlossen auftauchte, sondern in unverdächtigen Zeitabständen Möglichst betraten sie das Fabrikgelände durch verschiedene Eingänge, denn rund um die Anlage wohnten die ehemaligen Arbeiter, die auf der Strecke geblieben waren. Nicht jeder hatte wieder eine Beschäftigung gefunden und entsprechend viel Zeit zu beobachten.
Ozaki nannte seinem Fahrer das Ziel.
Da er den Mann schon lange beschäftigte und in seiner wildesten Zeit, die er jetzt seine harmlose nannte, in dem fraglichen Viertel bis zu einem Dutzend Mätressen gehabt hatte, fiel dem Chauffeur nichts auf. Er kannte seinen Arbeitgeber nicht gut genug, um herauszufinden, wie sehr er sich verändert hatte. Er respektierte die Launen seines Chefs und wußte, daß einem manchmal nicht nach Reden zumute war. Außerdem - worüber sollte sich ein gebildeter Mann wie Ozaki auch mit einem Kraftfahrer unterhalten? Der Chauffeur zog es vor in Ruhe und Schweigen zu arbeiten. Der Verkehr in Tokio erforderte meist seine ganze Aufmerksamkeit.
Ozaki zeigte Anzeichen von Ungeduld.
»Schneller«, bat er zweimal.
Einmal bremste der Mann am Lenkrad scharf. Da hätten die Räder fast eine schwarze Katz erfaßt, die in gestrecktem Galopp versuchte, die Straße zu überqueren und im letzten Moment mit einem beleidigten Miauen noch den Schwanz einzog.
»Blödes Vieh«, schimpfte der Fahrer erschrocken.
Nach einer halben Stunde schon erreichten sie ihr Ziel.
»Ich steige hier aus. Ich brauche Sie nicht mehr«, entschied Ozaki und vergaßt nicht einmal seinen Regenschirm.
Aufrecht ging er die Straße hinunter, vorbei an verfallenen Hütten und neugierig gaffenden Leuten, die aus ihren Behausungen schossen, um den Fremden, der so gut gekleidet war und so mächtig aussah, zu bestaunen. Aber fast jeder Gaffer zog sich blitzschnell zurück, wenn er den Zug um Nase und Kinn und Mund des Herrn Ozaki bemerkte. Auch um die kantigen Kinnladen war keine Spur von Mitleid. Von diesem Mann hatte niemand milde Gabe zu erwarten.
Ozaki strolchte eine lange rote Backsteinmauer entlang und vergewisserte sich, daß er nicht mehr beachtet wurde, ehe er blitzschnell einen Schlüssel in ein Schloß schob, das nicht halb so verrostet war wie es aussah. Mühelos öffnete er die Pforte, die sich lautlos in den Angeln drehte und schlüpfte auf das Fabrikgelände.
Es gab hier nichts, was einen Außenstehenden reizen konnte, und selbst die Hungerleider des Viertels hatten es aufgegeben, über die Mauer zu steigen, um Schrott zu stehlen und für ein paar Yen zu verhökern.
Erst dann war das Objekt für die Anhänger des Dämonenkults interessant geworden, und sie hatten in aller Heimlichkeit begonnen, das Werk für ihre Zwecke umzurüsten. Die Sicherheitsmaßnahmen waren umfangreich. Niemand konnte hier gegen den Willen der Eigentümer eindringen. Neben wenig wirksamen Sperren gab es, je näher man dem Zentrum kam, immer unüberwindlichere Hindernisse wie gepanzerte Türen, Panzerglasfenster und scheinbar vermauerte Zugänge, die sich jedem öffneten, der den Auslöser fand.
Mit traumwandlerischer Sicherheit fand Ozaki seinen Weg durch die Halle in den ersten Stock.
Dort befanden sich bereits die beiden Frauen und der
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