0195 - Im Schloß der Bestien
sehr elegant und teuer gekleidet war. »Sie loszumachen, wäre das Dümmste, was ich tun könnte. Schließlich habe ich Sie in der Nacht hierher getragen. Und weshalb Sie hier sind?«
Er machte eine kurze Kunstpause, dann bleckte er die Zähne. Die Eckzähne waren besonders ausgeprägt. »Weil wir Sie brauchen. Sie sind eine Frau. Sagt das nicht alles?«
Sie erblaßte.
Doch noch ehe sie ihm eine Entgegnung zuschreien, ihn beschimpfen oder befragen konnte, wandte er sich blitzschnell um und verschwand. Die Eichentür schloß sich knarrend hinter ihm, dann wurde der Schlüssel im Schloß gedreht. Susy war losgespurtet, um ihn zu erreichen, aber sie kam nicht bis zur Tür – und vor allem nicht schnell genug. Einen halben Meter vorher machte ihr ein harter Ruck am rechten Fuß schmerzhaft bewußt, daß die Kette zwar fünf Meter lang, aber insgesamt zu kurz war.
»Bestie!« schrie sie.
Aber aus dem Korridor kam keine Antwort. Nicht einmal Schritte waren zu hören, welche sich entfernten. Die starke Eichentür schluckte alles.
Susy Carter war im Verlies mit ihren Gedanken allein.
***
Am späten Nachmittag erreichten Zamorra und Nicole mit Wolf und Wagen die altehrwürdige Universitätsstadt Oxford. Zamorra hatte hier schon einmal Vorträge gehalten und wußte deshalb, wohin er sich zu wenden hatte. Vorsichtshalber fuhr er direkt bis zur Hochschulverwaltung durch und ließ sich anmelden.
Nicole, obgleich seine Sekretärin, war dennoch nicht daran interessiert, den gesamten Begrüßungszirkus mit über sich ergehen zu lassen, und Zamorra bestand auch nicht darauf. So rutschte sie auf den Fahrersitz hinüber, als er ausstieg.
»Wahrscheinlich dauert es ein paar Stunden«, bemerkte Zamorra. »Du kannst dir also Zeit lassen.«
Nicole schnipste mit den Fingern.
»Ich fahre zu diesem Schloß«, sagte sie. »Die werden auch schon auf uns warten, weil sie ja davon ausgehen müssen, daß wir mit dem Flugzeug gekommen sind. Ich werde sie schon einmal beruhigen, die Koffer leermachen und dann zurückkehren.«
»Du wirst dich dabei beeilen müssen«, stellte Zamorra nach einem Blick auf die Uhr fest. »Die Geschäfte in Oxford haben nicht bis in die späte Nacht geöffnet.«
Nicole winkte ab. »Schaufensterbummel bei Gaslicht kann auch ganz interessant sein, und man kann dann abends in aller Ruhe aussuchen, wo man am nächsten Morgen intensiv einkauft. Tschüß.«
Zamorra schüttelte verwirrt den Kopf. »Wo hast du denn das ausländische Wort her?«
»Von unserem letzten Aufenthalt in Norddeutschland«, strahlte sie ihn an. »Klingt fast wie englisch kiss , nicht wahr?«
Der versteckten Aufforderung folgte er durch das geöffnete Seitenfenster des Wagens, dann wandte er sich um und schritt auf die breite Marmortreppe zu, während Nicole Gas gab. Der große Wagen schoß davon.
Der Meister des Übersinnlichen wurde bereits erwartet.
***
Zamorra lehnte sich bequem im Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. Er hatte sich die Worte des Dekans angehört und sie verarbeitet. Der Mann hatte fast einen kompletten Vortrag heruntergebetet und Zamorra genauestens darüber aufgeklärt, zu welcher Tagesstunde welche Pflichtübung zu absolvieren sei. Vorbereitungsgespräche mit dem Fachleiter, Vorlesung, Mittagessen, Diskussion mit interessierten Studenten, Freiraum, Abendessen ebenfalls auf Kosten der Universität, am nächsten Tag die anschließende Vorlesung nach dem gleichen Ritual. Es war Zamorra sogar empfohlen worden, in welchem Schrittempo er den Hörsaal betreten möge.
»Schlimmer als in West Point«, lächelte er. »Da muß man auch noch militärisch exakt grüßen.«
»Aber, bitte«, ließ sich der Dekan vernehmen. »Wir geben nur Empfehlungen, an die Sie sich selbstverständlich nicht halten müssen.« Aber so, wie es klang, war genau das Gegenteil gemeint.
»Das ist beruhigend«, erwiderte Zamorra. »Wer ist eigentlich auf den Gedanken gekommen, meine Sekretärin und mich in einem Schloß einzuquartieren?«
Der Dekan lächelte etwas gezwungen.
»Es war die Idee von Mister Lykow«, sagte er.
»Und wer ist Mister Lykow?«
»Mister Pjotr Lykow ist mit dem Fachleiter unseres parapsychologischen Apparates bekannt, und als er von der Einladung hörte, bot er sich spontan an, sein Schloß zur Verfügung zu stellen. Da Sie selbst in einem Schloß wohnen, erschien es uns reizvoll, dieses Angebot nicht auszuschlagen und Ihnen damit eine Freude zu machen.«
»Nur der Anfahrtsweg ist weiter, nicht
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