02 Arthur und der Botschafter der Schatten
durch die Tür trat. Ich konnte nichts tun und war ganz auf Larissa angewiesen.
Mein Herz wummerte in meiner Brust, nicht nur wegen der Anstrengung vorhin. Wie hatte Larissa doch am Flughafen gesagt: »Du hast Angst, weil du die Situation nicht kontrollieren kannst.« Genauso war es. Ich war in diesem Moment nicht mehr Herr der Lage. Mein Schicksal hing von anderen ab, von Larissa und Zafón. Dieses Gefühl des Ausgeliefertseins war schlimmer noch als die Furcht vor unserem Verfolger.
Es kam mir so vor, als würde ich eine Ewigkeit hinter dem Turm warten. Dann ging alles ganz schnell: Ich hörte ein dumpfes Geräusch, ein Stöhnen und Larissas Stimme, die »Arthur!« rief. Wie ein geölter Blitz fegte ich um das Türmchen herum. Vor mir lag Zafón auf dem Boden, der jedoch schon wieder dabei war, sich aufzuraffen. Larissa war bereits im Treppenhaus verschwunden.
Ich warf mich durch die Türöffnung und taumelte einige Stufen herunter, bevor ich mein Gleichgewicht wiederfand. Hinter mir knallte Larissa die Tür zur Aussichtsplattform zu. Gerade noch rechtzeitig, denn schon eine Sekunde später wurde von der anderen Seite wütend dagegengetrommelt.
Wir sprangen die Stufen hinunter und rannten ohne anzuhalten aus dem Turm und über die Römische Brücke in Richtung Altstadt. In der Mitte der Brücke, etwa in Höhe der Statue des Erzengels Rafael, hielten wir an und warfen einen Blick zurück. Zafón war immer noch auf dem Dach eingeschlossen. Wir sahen ihn zwischen den Zinnen stehen und wütend seine Fäuste in der Luft ballen. Es sah so aus, als hätten wir ihn diesmal tatsächlich abgehängt.
Als wir an der Mezquita ankamen, war diese bereits geschlossen. Ich war darüber nicht unglücklich, Larissa schon.
»Jetzt verlieren wir einen ganzen Tag«, schimpfte sie. Sie hatte wirklich geplant, sich in der Moschee einschließen zu lassen. Mir gefiel der Gedanke überhaupt nicht. Ich war mir sicher, dass das schiefgehen musste. In Haarlem hatte es zwar geklappt, aber man sollte sein Glück nicht über Gebühr strapazieren.
»Ich brauche jetzt erst einmal eine Dusche«, erklärte ich, ohne näher auf ihre Bemerkung einzugehen. Ich fühlte mich schmutzig und verschwitzt und meine Kleidung klebte mir am Körper.
Larissa folgte mir murrend zum Hotel. Unterwegs kauften wir uns noch ein bocadillo , ein belegtes Brötchen, in einer Bar, denn keiner von uns hatte Lust, heute noch einmal unsere Herberge zu verlassen und Zafón in die Arme zu laufen. Und wenn wir die nächste Nacht in der Mezquita verbringen wollten, dann konnten wir jede Minute Schlaf brauchen.
Nachdem ich geduscht und gegessen hatte, legte ich mich auf mein Bett, um noch ein wenig in meinen Unterlagen über Córdoba zu lesen. Durchs offene Fenster wehte der wabernde Gesang eines Muezzins herein. Er kam heutzutage von einem Tonband, ein letztes Zugeständnis an die ehemalige Mehrheit der Stadt.
Ich lehnte mich gegen das Kissen und schloss die Augen. Der Gesang versetzte mich um tausend Jahre zurück in das Córdoba der Vergessenen Bücher. Ich hockte in einer Runde von Gelehrten auf dem Boden des Lesesaals der Großen Bibliothek. Hinter uns und um uns erstreckten sich die endlosen Regale, vollgestopft mit dem Wissen der Welt. Im Lichte dicker Kerzen studierten wir die Schriften, machten uns Notizen und tauschten unsere Meinungen dazu aus. Ich fühlte mich furchtlos und frei, denn dies war ein Ort, an dem man keine Angst haben musste. Uns alle verband der Wunsch, aus der Welt einen besseren Ort zu machen.
Mit diesen angenehmen Gedanken fiel ich in den Schlaf.
Als wir am nächsten Morgen nach dem Frühstück den Orangenhof betraten, wimmelte es dort von Uniformierten. Vor dem Eingang in die Mezquita hatte sich eine riesige Menschentraube gebildet. Eine unangenehme Vorahnung überfiel mich. Wir überquerten den Hof und näherten uns der Menge.
Der Zugang selbst war mit drei rotweißen Holzböcken versperrt, hinter denen sich zwei Polizisten aufgebaut hatten. Auf der anderen Seite der Barrikade standen eine Handvoll Reporter. Sie streckten einem elegant gekleideten Mann vor der Absperrung ihre Mikrofone und Kameras entgegen. Leider konnten wir kein Wort von dem, was er sagte, verstehen.
»Wo ist der Maure, wenn man ihn braucht?«, fragte ich frustriert. »Wie sollen wir erfahren, was da drin passiert ist, wenn wir kein Spanisch können?«
»Psst!« Larissa hielt den Kopf nach vorn gereckt, als ob sie verstehen würde, was an der Absperrung gesprochen
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