02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
dachte daran, früher nach Hause zu gehen.
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Riaz war ungewöhnlich verständnisvoll, riet ihr aber noch im Büro zu bleiben. »Halte bis Büroschluß durch, und wenn du dann nach Hause kommst, ist alles schon gemacht Du mußt nichts mehr tun und kannst dich ausruhen.«
Als Christy schließlich gegen 18 Uhr hustend und erschöpft nach Hause kam, war die Wohnung leer, und an der Tür klebte ein Zettel. »Liebling«, stand darauf, »wir fahren nach Holly [eine rund 80 Kilometer entfernte Stadt], Jetzt ist es 15 Uhr. Wir sind noch vor 18.30 Uhr wieder zurück. Wir wollen einen Freund besuchen, Dr. S. Mach dir keine Sorgen, wir sind genau zur angegebenen Zeit wieder zurück. Ich liebe dich.«
Christy war über diese Störung des normalen Tagesablaufs der Kinder wütend und frustriert. Riaz war in letzter Zeit furchtbar zerstreut gewesen; vielleicht hatte er nur einen ihrer Söhne mitgenommen und den anderen einfach vergessen. Sie rief in der Kindertagesstätte an, wo man ihr bestätigte, daß Riaz John und Adam am frühen Nachmittag abgeholt hatte. Christy legte sich aufs Sofa und wartete.
Um 21 Uhr wurde sie nervös. Was, wenn Riaz die Jungen bei Unbekannten gelassen hatte, während er sich irgendwo betrank? Was, wenn ein Fremder sich die Kinder schnappte, wenn Riaz gerade nicht aufpaßte? John war knapp zwei Jahre alt und Adam erst acht Monate. Sie waren so wehrlos und niedlich, und Christy wußte, daß immer wieder Babys entführt werden.
Um Mitternacht war sie der Verzweiflung nahe. Ihre Gedanken konzentrierten sich auf die beiden wahrscheinlichsten Möglichkeiten: Riaz hatte einen Autounfall gehabt, oder er war einfach nur betrunken und verbrachte die Nacht in Holly. Vielleicht, meinte ihre Mutter, sei es ihm einfach zu peinlich anzurufen. Christy benachrichtigte die Polizei aber die konnte erst 24 Stunden nach dem Verschwinden der Kinder eingreifen.
Gleich am nächsten Morgen gingen Christy und ihr Vater aufs örtliche Polizeirevier. Der diensthabende Polizist vermutete, daß Riaz die Jungen in seine Heimat Pakistan gebracht hatte. »Wo zum Teufel soll ein Mann mit einem acht Monate alten Baby sonst hin?« Vor dieser Möglichkeit hatte Christy am meisten Angst. Die Indizien sprachen freilich dagegen. In der Wohnung fehlte nichts, weder Spielzeug noch Kleidung.
Voller Panik fuhren Christy und ihr Vater jede nur erdenkliche Strecke zwischen ihrer Wohnung und Holly ab und hielten Ausschau nach zertrümmerten oder verlassenen Fahrzeugen. Christy war außer sich. Sie fürchtete sich, das zu finden, wonach sie suchte, und sie hatte schreckliche Angst vor den Alternativen.
Nachdem sie die Landstraßen abgesucht hatten, rief Christy noch am selben Abend das FBI an. Sie erhielt die Auskunft, daß Riaz im Grunde machen könne, was er wollte. »Solange Sie verheiratet sind, hat er in bezug auf die Kinder die gleichen Rechte wie Sie. Wir können ihn nicht daran hindern, sie irgendwo hinzubringen«, erklärte der Beamte. »Wenn wir ihn auf dem Flughafen anträfen, könnten wir ihn lediglich bitten, zu Hause anzurufen. Wir können ihn nicht zurückhalten.«
Der FBI-Beamte verwies Christy an eine staatliche Stelle in Detroit, die bestätigte, daß für beide Jungen amerikanische Pässe ausgestellt und postlagernd an Riaz geschickt worden seien. Adams Paß war erst vor einem Monat ausgestellt worden, Johns Paß hatte Riaz bereits im Juli 1987 beantragt - in dem Monat, als ihre Ehe an einem Tiefpunkt angelangt war und Riaz sie zum erstenmal gewürgt hatte.
Die Entführung war immer noch reine Theorie, da die Verantwortlichen auf dem Detroiter Flughafen sich weigerten, die Passagierliste für den Flug nach Pakistan herauszugeben. Bis 21 Uhr änderte sich daran nichts.
Dann rief Riaz
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Christy aus Karatschi an, der größten Stadt Pakistans. Er wollte mit den Kindern den Zug nach Peshawar nehmen Nachdem er Christys Unglück vollkommen gemacht hatte entschuldigte er sich zutiefst zerknirscht.
»Es tut mir leid«, stammelte er, während Christy weinte. »Aber warte doch, ich habe dir die Kinder nicht weggenommen. Ich hab' dir ein Ticket dagelassen. Es liegt in der Truhe im Eßzimmer. Glaub mir, hier wird alles besser werden.«
»Wie kann es denn besser werden?« schrie Christy.
»Hier habe ich Geld, und du brauchst nicht zu arbeiten«, sagte Riaz. Dann hielt er John den Hörer hin. Der kleine Junge klang völlig verwirrt. Er war es nicht gewohnt, soviel Zeit mit seinem Vater zu verbringen. »Ich will zu dir,
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