02 - Beiss mich, wenn du kannst
ich um vier Uhr morgens nirgendwoanders hinkonnte.
Ich ging wegen meiner zwei Taschen zurück, von denen eine meine neueste Errungenschaft enthielt: so ein wahnsinnsstarkes Teil von Dolce & Gabbana, das ich zu einem sagenhaften Preis gekauft hatte. Meinen Kumpel Dolce konnte ich doch nicht im Stich lassen.
„Lil." Tys Stimme erklang von der Türöffnung her.
„Ich bin hier weg, sobald ich meinen Kram zusammenhabe." Ich stopfte das Nachthemd, das ich am vorherigen Tag getragen hatte, in die Öffnung.
„Du gehst nirgendwo hin." Er stand jetzt direkt hinter mir, aber ich drehte mich nicht um.
Ich hatte nicht vor, ihn anzusehen.
„Oh doch, und ob. Ich bin so was von hier raus."
Er schüttelte den Kopf. „Warum?"
Gute Frage. Weil er ... und ich ... und ich hatte Angst, dass wir ...
Du liebe Güte, bist du fünf oder fünfhundert Jahre alt? Der Mann ist ein Vampir. Er beißt Frauen, um sich zu ernähren. Genau das tut er.
Okay, das wusste ich ja auch. Ich verstand es (zumal angesichts der Tatsache, dass ich meinen eigenen kleinen Vampir in mir hatte). Aber etwas zu wissen und etwas mitanzusehen ... Darin liegt der monumentale Unterschied.
„Sie sah wirklich ... hübsch aus." Die Worte waren draußen, bevor ich sie aufhalten konnte. „Wie bitte?"
„Netter Körper. Die Haare waren nicht sonderlich beeindruckend. Wenn die Farbe nicht aus der Flasche kommt, dann weiß ich auch nicht. Aber ansonsten war sie echt heiß."
„Sie war das Abendessen."
„Ein attraktives Abendessen."
„Geht es darum? Du bist sauer, weil ich jemanden gebissen habe?"
„Nein." Ich fuhr fort, meine Klamotten in die Tasche zu stopfen, um ihn nicht ansehen zu müssen.
„Ich glaube doch. Du bist sauer, weil -"
„Ich bin nicht sauer. Ich finde nur, es ist keine gute Idee, dass ich hierbleibe."
„Warum?"
„Darum." Mir gingen die Klamotten aus, und ich griff nach einem seiner abgelegten T-Shirts. Ich stopfte es zu meinen eigenen Sachen.
„Warum darum?"
„Weil ich dich mag, okay?" Meine Hände zitterten. „Ich mag dich, und ich sollte dich nicht mögen. Abgesehen davon, dass du wirklich außergewöhnlich heiß bist, gibt es nichts, was an dir auch nur ansatzweise attraktiv wäre. Du bist herrisch und herablassend und für jemanden wie mich absolut der Falsche." Ich nestelte am Verschluss der Tasche herum.
„Ich helfe dir nicht wegen des Kopfgeldes." Diesmal hatten seine Worte meine volle Aufmerksamkeit - und ich sah auf. Unsere Blicke trafen sich. „Ich habe schon weitaus mehr Kopfgelder kassiert, als ich je ausgeben könnte. Ich helfe dir, weil..."
Die Worte erstarben auf seinen Lippen, und sein Kopf drehte sich zur Straße herum. Die Dunkelheit wurde von roten und blauen Lichtern erhellt. Reifen quietschten, Motoren kamen stotternd zum Stehen. Türen wurden zugeknallt.
„Scheiße." Im nächsten Sekundenbruchteil stand Ty am Fenster und spähte in die Straße hinab. „Sie sind hier."
Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. „Sie können aber nicht hier sein." Mein Blick raste von den Fenstern zur Tür und wieder zurück. „Sie wissen doch gar nicht, wo hier ist."
Er wandte sich zu mir um. „Jetzt schon."
Türangeln knarrten. Holz splitterte. Schritte erklangen auf der Hintertreppe.
Der Lastenaufzug setzte sich in Bewegung und fuhr ächzend nach oben.
„Ich nehme nicht an, dass es hier eine Falltür gibt?"
„Unterm Bett." Er bewegte sich mit Lichtgeschwindigkeit und packte einen der Bettpfosten. Nur eine einzige Handbewegung - und das schwere Holz glitt über den Boden wie ein Eishockey-Puck übers Eis. Er schlug den Teppich zurück und zum Vorschein kam eine quadratische Luke.
„Das sollte ein Witz sein."
„War's aber nicht." Er fuhr mit den Fingern in die zwei kleinen Löcher, die in das Holz eingefräst waren, und hob die Luke an. Metall ächzte und knackte, als sich die Scharniere bewegten. „Das hier war um die Jahrhundertwende ein altes Schlachthaus."
Man nannte diese Gegend ja nicht umsonst Meatpacking District.
„Wir stehen in dem Bereich, wo die Tiere getötet wurden. Die Körper wurden dann über eine Rutsche weiterbefördert, die ins Erdgeschoss führte, wo man sie lagerte, bis sie gebraucht wurden." Er winkte mich zu sich. „Die Leute, die das Haus renoviert haben, haben eine Treppe eingebaut, um das Dachgeschoss mit den unteren Etagen zu verbinden, damit das ganze Gebäude ein einziger riesiger Wohnraum wurde. Die Leute, die ihnen das Haus später abgekauft haben, wollten allerdings
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