02 - Der 'Mann in Weiß'
ob er wieder etwas fand. Und auch fünfzigtausend Pesos waren irgendwann aufgebraucht.
Gaitan hatte in der Ruine Verpflegung für mehrere Tage gebunkert und legte die eine oder andere Nachtschicht ein. Er war wie besessen von dem Gedanken, weitere Artefakte zu finden, zumal sich seine Mutter immer öfters bei ihm meldete und ihn antrieb. Das gab ihm Kraft, denn er war fest überzeugt, dass die Toten mehr wussten als die Lebenden.
Er kratzte und hackte an den Wänden herum. Und tatsächlich stieß er an diesem Tag auf eine Unebenheit in Brusthöhe. Als er den Stein gelockert und herausgenommen hatte, als er nun mit der Lampe hineinleuchtete, stockte ihm erneut der Atem…
Er wusste nicht, wie lange er dieses Mal ohne Bewusstsein gewesen war. Stöhnend erhob er sich. Seine Mutter war heute ziemlich ungnädig. Sie schimpfte ihn einen Schlappschwanz und dass er sich gefälligst wieder an die Arbeit machen solle. Denn nur die Reichen hätten ein wirklich gutes Leben.
Béjar Gaitan barg vorsichtig die fünf Statuetten, die handspannengroß waren und sich glichen wie ein Ei dem anderen. Sie zeigten irgendeinen fürchterlichen Gott, den er auch auf den Wandzeichnungen schon gesehen hatte.
Die Figuren fühlten sich seltsam warm an, als würde Blut in ihren Adern fließen, als würden sie… leben.
Aber das war nichts als Einbildung.
Béjar Gaitan versuchte Cordova zu erreichen, doch es gelang ihm nicht. Obwohl er ihm mehrere Male auf den Anrufbeantworter sprach, rief der Hehler nie zurück. Irgendwann vermutete Gaitan, dass ihm etwas passiert war.
Also musste er die Statuetten anderswo loswerden. Aber er kannte ansonsten doch nur noch Raul Espinosa, den Hehler von Garciamendez' Bande.
Nach zwei Tagen beschloss er, es zu wagen. Wenn er sich bei dem Geschäft anonym im Hintergrund hielt, konnte niemand Rückschlüsse auf ihn ziehen. Er musste sich einfach nur gut genug tarnen.
Da Gaitan kein eigenes Telefon besaß, rief er Espinosa vom Apparat seines Freundes Andrés an. Immer wenn Garciamendez' Bande längere Raubzüge im Nachbarland Guatemala unternahm, quartierten sie sich in einem längst ausgestorbenen alten Goldsucherdorf in den Bergen an der guatemaltekischen Grenze ein, das ihnen als Basis diente. In dieser Zeit passte Gaitan auf Andrés Gandarillas Haus auf, goss seine seltenen Blumen und fütterte die Schlangen und Rotknievogelspinnen in den verschiedenen Terrarien.
Er erreichte Espinosa, der in San Miguel wohnte, nach drei Weiterleitungen. Der Mann taute erst dann vorsichtig auf, als Gaitan beiläufig den Namen Garciamendez fallen ließ. Schließlich war er zumindest interessiert. Am nächsten Tag traf sich Gaitan mit dem Hehler in einem Café in San Miguel. Er hatte sich den Kopf mit Mullbinden umwickelt, was ihm teils spöttische, teils mitleidige Blicke der anderen Gäste einbrachte, und bot Espinosa an, eine Statuette zur Untersuchung mitnehmen zu dürfen. Wenn er sich von der Echtheit überzeugt habe, bekomme er auch die vier weiteren.
Espinosa erbat sich zwei Tage Zeit. Als ihn Gaitan erneut von Gandarillas Telefon aus anrief, bot ihm der Hehler fünfzehntausend Pesos für alle fünf Statuetten. Gaitan bestand auf zwanzigtausend und bekam sie tatsächlich in Aussicht gestellt. Noch am selben Tag wechselten Geld und Ware den Besitzer. Espinosa legte wie auch schon Cordova noch etwas drauf, wenn auch »nur« fünftausend Pesos. Er zeigte sich ebenfalls an einer weiteren Zusammenarbeit interessiert.
Langsam begann es Béjar Gaitan zu dämmern, dass er äußerst hochwertige Ware aus der Ruine geholt hatte. Möglicherweise hätte er ein Vielfaches an Geld herausschlagen können.
Als er über seine eigene Dummheit nachdachte, überfielen ihn rasende Kopfschmerzen.
***
Gegenwart, 16. Oktober 2011, Cozumel
Tom Ericson verzichtete darauf, das Touristenbüro aufzusuchen. Stattdessen ging er zum Hotel zurück, checkte aus und fuhr mit dem Jeep zum Fähranleger. Er kaufte sich ein Ticket nach Cozumel.
Die rund sechzehn Kilometer Überfahrt zu der Insel verliefen weitgehend ereignislos ‒ davon abgesehen, dass Tom sich erneut beobachtet glaubte, eine unauffällige Suche aber auch hier keinen Erfolg brachte. Bald schon kam San Miguel del Cozumel, die Inselhauptstadt, in Sicht. Tom stellte sich ganz vorne am Ausgang auf und wartete, bis ihn alle Passagiere passiert hatten. Der Indio war nicht dabei. Tom ging hinunter zu seinem Jeep, warf dabei flüchtige Blicke in jedes Auto. Auch hier sah er
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