02 - Die Gefangene des Wikingers
erlauben, Rowan schnell zu begrüßen, ehe er in die Halle ging.
»Kommt, Kinder!« rief sie den Kleinen zu, »euer Vater ist zurückgekehrt!«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen, und schon rannten die Kinder zum Haus. Sie folgte ihnen, rannte zuerst ebenfalls, mäßigte dann aber ihren Schritt, wie es ihrer Stellung entsprach. Aber als sie am Haus angekommen war, fegte sie genauso ungestüm durch die Tür wie die Kinder.
Diener eilten bereits herbei, um den König und seine Männer mit Ale zu versorgen. Alswitha begrüßte alle herzlich. Die Kinder rannten zu ihrem Vater und bettelten um seine Aufmerksamkeit. Alfred warf Rhiannon einen kurzen Blick zu und wendete seine Augen dann ab. Rhiannon war darüber verwundert, denn der König blickte stets jedermann, egal ob Mann oder Frau, direkt in die Augen. Edmund war jetzt bei ihm. Er umarmte seinen Sohn und drehte Rhiannon den Rücken zu. Sie erstarrte. Also war er immer noch wütend auf sie. Dabei traf sie doch gar keine Schuld.
Sie redete sich ein, dass ihr das egal wäre, aber das war es nicht. Sie liebte ihn nicht aus ganzem Herzen, weil er König,
sondern weil er ein wertvoller Mensch war. Sie liebte seinen flinken Witz und seine Schlagfertigkeit und hörte gerne zu, wenn er ihr von seinen Träumen erzählte. Alfred hatte ein England vor Augen, in dem Wissenschaft und Kultur wieder blühen und gedeihen sollten.
Rhiannon neigte den Kopf und begrüßte damit Allen, Edward, William und Jon. Sie mochte Jon und Edward sehr; sie waren beide Männer in ihrem Alter, die gerne lachten und eine blumige Sprache bevorzugten und sie immer in Schutz genommen hatten. Allen war ihr zu grimmig, und William erschreckte sie manchmal. Er beobachtete sie intensiv, zwirbelte dabei seinen langen, dunklen Schnurrbart und ließ in ihr die Frage auftauchen, welche Hinterhältigkeiten ihm wohl durch den Kopf gingen. Er verunsicherte sie, aber trotzdem nickte sie ihm zu. Dann wurde ihr bewusst, dass alle sie anstarrten und jeder von ihnen sehr ernst, nachdenklich und unbehaglich zu sein schien. Sie hatte keine Ahnung, was der Grund dafür war, denn sie waren vollzählig zurückgekehrt. Der irische Prinz musste also verhandelt haben. Es hatte offensichtlich keinen weiteren Kampf gegeben.
Der König hatte immer noch den kleinen Edmund auf dem Arm, und so glaubte Rhiannon, dass es ihr erlaubt sei, zu Rowan zu eilen. Als sie ihm näherkam, beschleunigte sie ihren Schritt und warf sich in seine Arme.
»Rhiannon!« flüsterte er schmerzerfüllt ihren Namen.
Etwas stimmte rächt. Sie wusste es sofort. Sie starrte Rowan in die Augen und war sich sicher, dort Tränen zu sehen. Außerdem umarmte er sie nicht. Er packte ihre Arme und schob sie von sich weg. Sie war völlig verwirrt.
»Rowan, was ist los?«
»Ich - ich habe nicht mehr das Recht, dich zu umarmen«, sagte er sanft zu ihr, und erst dann bemerkte sie, dass jeder in der Halle sie anstarrte - der König ungehalten und kalt; Alswitha verwirrt; und die Männer besorgt und unbehaglich.
Sie alle wussten etwas, was sie nicht wusste.
»Was ist passiert?« fragte sie.
Was immer es auch war, es war grauenhaft, das war ihr klar. Wieder blickte sie Rowan an. Seine Gesichtszüge waren schmerzhaft gespannt, und er hielt sie zwar sanft, aber von sich weg. Langsam stieg kaltes Entsetzen in ihr empor.
»Rowan.-..«
»Das muss dir der König sagen«, sagte er. Er ließ sie los und sprach schnell mit gepresster Stimme zu Alfred: »Ich würde jetzt gerne gehen, Sire.«
Der König nickte. Rhiannon starrte Alfred fragend an.
»Was ist passiert?« fragte sie abermals. Sie versuchte, mit beherrschter Stimme zu sprechen. Dann wurde es ihr klar. Es war ihnen nicht gelungen, die Wikinger von ihrem Land zu vertreiben. Wikinger? dachte sie bitter. Nein - die Iren. Der König beharrte ja darauf, dass die Eindringlinge Iren waren.
»Mein Heim«, sagte sie, »es ist verloren. «
»Geht jetzt alle, lasst uns allein«, sagte der König.
»Alfred … «, setzte Alswitha an.
»Lass uns allein!« wiederholte der König.
Sie hörte, wie sich die Männer erhoben und gingen, aber sie sah sie nicht. Ihr Blick hing an dem König. Undeutlich nahm sie wahr, dass Alswitha nach den Kindern rief, und dann war Rhiannon mit dem König allein. Panik erfüllte sie.
»Alfred, sprich!« rief sie heiser.
Einen Augenblick lang dachte sie, dass er einlenken wollte, dass er so behutsam wie möglich mit ihr sprechen wollte, um die Grausamkeit seiner kommenden Worte zu
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