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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Wohnzimmerfenster geputzt haben, war Anna noch zu Hause.« Selbst Erwin fiel eines Tages auf, dass er seine Sätze häufig mit »Als Anna noch bei uns war« begann.
    Sehr bald wurde er jedoch zum Überbringer einer Nachricht, die die Familie Sternberg in allergrößte Anspannung versetzte.
    Am Montag, dem 25. Mai, saß Erwin blass und nervös am Mittagstisch. Seiner Mutter fielen seine fahrigen Bewegungen auf und dass er Fragen nicht beantwortete und mit abwesendem Blick im Fischauflauf herumstocherte. Weil es ein kühler Maitag war und Erwin auch ein wenig verschnupft, brachte ihm Josepha einen Tee mit Rum, den er zu ihrer Enttäuschung aber weder lobte noch austrank.
    »Wahrscheinlich«, sagte Betsy später zu ihrem Mann, »hat ihm endlich jemand reinen Wein eingeschenkt, und er hat erfahren, dass er und Clara nicht für ein Einwanderungsvisum nach Palästina infrage kommen. Na, warum wohl? Des Alters wegen, natürlich. Sie wollen dort nur ganz junge Leute haben. Und Erwin und Clara sind immerhin sechsunddreißig. Frau Süßkind hat mir schon vor Monaten gesagt, dass alle Mühe der Zwillinge vergebens sein wird, aber ich habe einfach nicht den Mut gehabt, mit Erwin darüber zu sprechen.«
    Betsy täuschte sich, und Frau Süßkind, die in der Familie Sternberg den Ruf hatte, aufdringlich zu sein und zu jedem Missverständnis zu neigen, das auf Erden möglich war, irrte sich noch gründlicher als sonst. Am letzten Montag im Mai 1936 erfuhr Erwin im Hause der Zionistischen Vereinigung, dass er keineswegs die Hoffnung aufgeben musste, Nazideutschland zu entkommen. Am Tag zuvor hatte nämlich der britische Hochkommissar für Palästina für das erste Halbjahr 1936 viertausendfünfhundert Zertifikate für die Einwanderung von Juden bewilligt. Davon waren zwölfhundert Zertifikate für reichsdeutsche Juden bestimmt. Die Chancen, dass die Geschwister Erwin und Clara Sternberg und deren Tochter Claudette drei von diesen kostbaren Zertifikaten erhalten würden, standen nach Auskunft der umgehend befragten zuständigen Stelle »durchaus nicht schlecht«.
    »Ich wage erst daran zu glauben, wenn es so weit ist«, sagte Clara. »Ich hab nicht genug Erfahrung mit Wundern.«
    »Ist wohl auch besser, sich vor Enttäuschungen zu schützen. Aber ich habe mit einer ganzen Menge Leute gesprochen, Clara, und die haben mir im Großen und Ganzen doch Mut gemacht. Allerdings meine ich, wir sollten im dritten Stock nicht mehr als nötig davon reden. Das alles auszuhalten ist zu viel für die alten Leutchen.«
    Claudette beschwor Gott jeden Abend, er möge an den Juden in Deutschland ein Wunder geschehen und die zehn biblischen Plagen über die Nazis kommen lassen. Als sie erfuhr, dass Claras und Erwins Traum von Palästina sich auch für sie bald realisieren könnte, war sie außer sich. »Ich kann mir nicht vorstellen, von zu Hause wegzugehen«, weinte sie. »Ich probiere es seit Ewigkeiten. Seitdem ich weiß, dass Alice zu ihrem Leon nach Südafrika will, um genau zu sein. Aber ich spüre nichts als Panik. Manchmal glaube ich, ich möchte eher sterben, als woanders leben müssen.«
    Erwin nahm seine zitternde Nichte in die Arme. »Angst musst du haben, wenn du hierbleibst, Claudette«, erklärte er ihr. Seine Stimme war sanft. »Es geschieht nämlich in Deutschland viel mehr, als dass junge Mädchen nicht mehr zur Schule gehen können und dass sie mit Gott hadern, weil sie jüdisch und nicht katholisch sind. Schon deshalb wird es für deine Großeltern eine enorme Beruhigung sein, uns aus Deutschland abfahren zu sehen.«
    »Und was wird aus Snipper? Wie soll ich einem armen unschuldigen kleinen Hund erklären, der noch keinen Tag ohne mich verbracht hat, dass ich ein hundsgemeines Biest bin und ihn schutzlos bei den Nazis zurücklasse?«
    »Mein Gott, Mädchen, wir spielen hier nicht große Oper! Wir bemühen uns, den Kopf auf den Schultern zu behalten. Josepha wird bestimmt für Snipper sorgen. Sie hat dir in deinem ganzen Leben keinen Wunsch abgeschlagen. Wahrscheinlich sammelt sie jetzt schon Wurstzipfel und häkelt eine neue Hundedecke. Im Gegensatz zu dir hat Josepha nämlich Augen im Kopf, und aus dem, was sie sieht, zieht sie die richtigen Schlüsse.«
    »Aber Josepha lebt doch nicht ewig.«
    »Hunde auch nicht«, sagte Clara.
    »Das«, befand ihr Bruder, »nenne ich eine Mutter mit einem goldenen Herzen. So was habe ich mir immer gewünscht. Du übrigens auch, Madame.«
    »Wer ins Heilige Land will, kann es sich nicht leisten,

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