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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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von Tante Jettchen sowohl die alte Fahnenstange als auch ein nagelneuer Militärtornister, den Otto, der ja nach zwei Monaten Krieg keinen Tornister mehr brauchte, bei seinem ersten Heimaturlaub hätte bekommen sollen.
    »Deine Mutter hat recht. Männer haben auf dem Speicher nichts zu suchen. Dass sie ja nicht den Tornister findet.«
    »Wird sie aber. Glaubst du, wir sind die Einzigen, die in diesen Zeiten nach alten Fahnenstangen fahnden?«
    »Ach, Erwin, wie sich die Zeiten ändern. Jahrelang konnte ich mich nicht damit abfinden, dass du auf deiner Malerei bestanden hast. Ich habe immer davon geträumt, dass du Jura studierst und den Doktor machst. Heute bin ich froh, dass du einen künstlerischen Beruf hast. Im Städel wird man sich ja um das ganze politische Geschrei nicht kümmern.«
    »Nein«, sagte Erwin, obwohl er es besser wusste. In der Städtischen Kunstgewerbeschule des Städel, in der Erwin Sternberg gehofft hatte, er könnte eines Tages vielleicht dem berühmten Maler Max Beckmann assistieren, traute keiner mehr dem anderen. Es wurde gemunkelt, außer Beckmann stünden auch die Professoren Baumeister, Scheibe und Schuster auf der »Abschussliste«. Erwin fragte sich, ab wann ein Sohn die Pflicht hatte, seinen Vater aufzuklären. Ging die Schutzbedürftigkeit eines alten Mannes nicht vor der Männerpflicht, der Wahrheit ins Auge zu blicken?
    »Ein Bild ist schließlich ein Bild«, fuhr Johann Isidor fort. »Es hat keine politische Meinung. Daran können auch die neuen Herren nicht rütteln.«
    Obwohl am Montag große Wäsche angesetzt war und die von der Vorwoche im Bügelkorb lag, erschien Frau Winkelried nicht zur Arbeit. Am Freitag hatte sie die Hausflurtreppe nur flüchtig gefegt und nicht, wie sonst, feucht gewischt und anschließend gebohnert. Zu Clara, wie seit Jahren üblich, war sie nicht gegangen. Betsy hatte sich vorgenommen, ihre Zugehfrau streng zu rügen und sie darauf hinzuweisen, dass eine solch tadelnswerte Auffassung von Pflicht und Arbeit in nichts den hohen Stundenlohn rechtfertigte, der Frau Winkelried seit Jahren gezahlt wurde.
    »Vielleicht ist sie krank«, überlegte Betsy zur Mittagszeit. Josepha hatte die Frau Winkelried zugedachte Erbsensuppe in die weiße Terrine umgeschüttet und mit Schnittlauchröllchen garniert. »Sie kommt mir neuerdings öfters erkältet vor.«
    »Für das, was die hat, braucht man kein Taschentuch«, diagnostizierte Josepha, »nur Chuzpe. Aber davon jede Menge.«
    »Nanu«, wunderte sich der Hausherr. Sein Löffel schlug gegen den Tellerrand. Josepha hatte nie dazu geneigt, die jüdischen Ausdrücke, die in der Familie Brauch waren, zu übernehmen. Johann Isidor setzte an, sie zu fragen, ob das, was er soeben vernommen hatte, eine Bedeutung hätte und wenn ja, welche, doch mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass ihn die Situation genierte. »Nanu«, wunderte er sich abermals. Diesmal galt das Staunen seiner eigenen Person.
    Am Dienstag lag ein Kuvert im Hausbriefkasten – ohne Absender und ohne Briefmarke, stattdessen mit einem Bild aus einer Zeitschrift beklebt. Ein grinsender, hakennasiger Teufel saß an einem Tisch und zählte Geld. Im Umschlag lag ein aus einem Rechenheft herausgerissenes Blatt. Der Brief kam von Frau Winkelried und hatte weder Anrede noch Datum. »Ich tu nicht mehr bei euch Juden putzen«, teilte sie mit, »ich erwarte, dass ihr mir den Lohn für die nächsten drei Monate zahlt. Bei Zuwiderhandlungen werde ich die erforderlichen gerichtlichen Maßnahmen zu ergreifen wissen.« Es gab keinen Zweifel, dass Frau Winkelried sich für den letzten Satz juristische Hilfe gesucht hatte.
    »Ich glaub, sie putzt bei einem Rechtsanwalt auf der unteren Berger Straße«, sagte Betsy. Ihre Stimme zitterte, ihre Hände ebenfalls. »Dass ein Akademiker sich zu so etwas hergibt! Unser Fritz würde so etwas nie tun.«
    Josephas Stimme war donnerlaut, ihr Gesicht eine flammend rote Fläche. »Wenn ich das Weib in die Hände bekomme, prügele ich sie so windelweich, dass sie nicht mehr weiß, wie sie heißt.«
    »Das werden Sie schön bleiben lassen«, befahl ihr Chef, den Claudette aus seinem Arbeitszimmer hatte holen müssen. »Die Winkelried ist stärker als Sie, Josepha. Und die Starken haben bei uns jetzt das Sagen. Jedenfalls, bis dieser ganze stinkende Spuk sein verdientes Ende nimmt.«
    Vorerst war es das schwächste Mitglied der Familie, das seine Stimme hören ließ. Die war allerdings so kräftig und fordernd, als wäre nichts faul im

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