02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
gleiche Weise weitere Frauen allmählich an den Harem herangeführt hat. Ich halte das den anderen gegenüber für absolut fair; vorausgesetzt, man heißt die Vielehe an sich gut.
Auf die Idee, dass Mamas erster Mann sich von Papa David missbraucht und betrogen gefühlt haben konnte, bin ich nie gekommen. Aber er war wohl der Ansicht, mein Vater sei richtig strategisch vorgegangen. Er hat wohl schon gewusst, dass Papa David mit meiner Mutter weitere Pläne hatte, als er sie das erste Mal in den Compound eingeladen hat. Mutter hatte mir irgendwann mal erzählt, dass er um Auflösung seines Vertrages gebeten hatte und wieder zurück auf den Brunnerhof gekehrt war, wo er fünf Jahre später mit nur 54 Jahren starb.
Mutter und er hatten sich aber in Deutschland noch mal getroffen und er hatte ihr wohl auch verziehen.
Mutter war bereits mit mir im fünften Monat schwanger, als sie Ende 1975
David Umukoro nach nigerianischem Recht heiratete. Es muss eine sehr pompöse Zeremonie gewesen sein, bei der die ganze riesige Familie - so nennen wir alle Bewohner des Harems - versammelt war. Das heutige Gemeinschaftshaus gab es damals noch nicht und das alte war für Hochzeiten zu klein. Daher haben sie unter freiem Himmel geheiratet, was Mutter auch viel schöner fand. Ihre Ehe war übrigens die letzte, die auf diese Weise geschlossen wurde. Das Fest dauerte bis zum nächsten Morgen.
Da ich schon einige Hochzeiten im Harem erlebt habe - jene meines Vaters und auch viele meiner Halbgeschwister -, kann ich mir gut vorstellen, wie stimmungsvoll es zugegangen sein muss: Schon Tage vorher wurde der Compound geschmückt, es wurden seltene Speisen zubereitet und alle Frauen waren damit beschäftigt, sich schön zu machen. Der Haremschor aus Mädchen und Frauen übte neue Lieder ein. Die Vorfreude auf dieses gesellschaftliche Ereignis zauberte eine besondere, spannungsgeladene Atmosphäre. Die Familie der neuen Frau war natürlich auch willkommen. In Mutters Fall war das nicht möglich. Nur Amara, die mittlerweile zu Mutters Freundin und Ratgeberin geworden war, konnte damals dabei sein.
Amara erinnerte sich auch Jahre danach immer wieder gern an die Hochzeit.
„Ein knappes Jahr zuvor hatte ich deine Mutter als eine tieftraurige Frau kennen gelernt“, sagte sie einmal, „jetzt stand sie neben diesem würdevollen Mann und strahlte wie eine Königin. In ihren Augen lag der glückliche Glanz junger Frauen, die die erste entscheidende Etappe ihres Lebens erreicht haben. Ihr weißer Schleier war mit bunten Blumen geschmückt und ein mit feinen, golden glänzenden Fäden durchwehtes Tuch lag um ihre Schultern. Als ich deine Eltern dann gemeinsam tanzen sah, schien die Vergangenheit wirklich sehr weit entfernt.“
Die schon vor der Hochzeit geknüpften Freundschaften erwiesen sich nun als Mutters Stütze. Mama Party und Mama Felicitas halfen ihr beim Einrichten der privaten Räume. Mutter war die erste und blieb die einzige Europäerin im Harem. Mit entsprechend großem Interesse lauschten die anderen ihren Berichten aus der fremden, fernen Welt. Kaum eine von Davids Frauen kannte etwas anderes als den Compound und
das elterliche Zuhause. Mutter genoss die Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wurde, und verwöhnte die Mitfrauen mit ihrer Kochkunst - sie war schließlich lange genug Gastwirtin gewesen! Und gutes Essen wurde im Harem stets gern genossen. Außerdem mussten meine vielen Halbschwestern früher oder später auf ihre eigene Hochzeit vorbereitet werden, so dass Mutters Wissen über Haushaltsführung durchaus angebracht war.
Durch die abweisende Reaktion von Mutters Verwandten kannte ich die deutschen Vorbehalte gegen die Vielehe, aber ich hatte mit eigenen Augen gesehen, dass Mama sich in diesem Kreis wohlgefühlt hat. Dort gab es keine Einsamkeit, sondern gegenseitige Hilfe und Verständnis. Im Laufe meines Lebens habe ich leider erfahren müssen, dass dies nicht überall der Fall ist, doch dazu später. Es lag an der Person meines Vaters und zu einem erheblichen Teil an seinen beiden ersten Frauen Patty und Felicitas, dass der Harem, in den ich hineingeboren wurde, eine wirklich harmonische Gemeinschaft darstellte.
Papa David achtete stets darauf, dass jede seiner queens -seiner Königinnen, wie er seine Frauen nannte - gleich behandelt wurde. Sowohl was die Zeit betraf, die er mit ihnen verbrachte, als auch die materiellen Zuwendungen für ihre Wohnung und ihre Garderobe. In regelmäßigen Abständen besuchten
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