02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
sichtbar: Krabbeln lernte ich nie und zu laufen erst sehr spät, mit über zwei Jahren.
Anfangs fiel es niemandem auf, dass ich humpelte. Und als man es bemerkte, war es zu spät; ich habe eine kaputte Hüfte, was Mutter auf die schwere Geburt und die ruppige Behandlung zurückführt, die mir dabei zuteil wurde. Ohne diese Behinderung wäre mein Leben später wohl anders verlaufen. Aber es ist sinnlos, sich darüber zu beklagen; ich kann froh sein, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Was das betrifft.
Die zweite „Hebamme“, die Mutter zur Seite stand, war Mama Bisi. Sie ist etwas jünger als Felicitas und die vierte Frau meines Vaters. Neben meiner Mutter ist sie der liebste Mensch, den ich von Kindesbeinen an kenne. Bisi ist klein und rund, obwohl mein Vater sonst eher groß gewachsene Frauen geheiratet hat. Sie stammt aus dem Volk der Yoruba, das in der Gegend von Lagos lebt. Obwohl sie Christin ist, hat sie von ihrer Großmutter eine ganze Menge über Zauberei und Magie gelernt. Vater hielt von solchen Sachen überhaupt nichts. (Yemis „Wunder“, das ihm so viele neue Gemeindemitglieder bescherte, war ihm immer auch etwas peinlich, weil er keinesfalls als Voodoo-Priester dastehen wollte.) Deshalb musste man sich an Bisi immer heimlich wenden, wenn es um „die spezielle Sache“ ging. Sie hat außerdem die Gabe, verwelkt am Boden liegende Pflanzen wieder hochzupäppeln. (Sie schwört darauf, an Vollmond auf eine schwache Pflanze einzureden!)
An Bisis weicher Schulter ist immer Platz zum Ausweinen. Nur in einen Streit mischt sie sich nie ein, sie heilt lieber hinterher die seelischen Wunden. Was auch passiert, Bisi findet in allem immer etwas Positives und sie lacht viel, ohne albern zu sein. Bisi strahlt eine Lebensfreude aus, die sich auf ihre ganze Umgebung auswirkt. Sie ist für mich mehr als eine Freundin, auf die Verlass ist: Bisi ist meine zweite Mutter, meine Mama Bisi.
Es war also gut, dass ausgerechnet sie Felicitas und Mutter half. Als ich auf die Welt gekommen war, soll Bisi gerufen haben: „Sie wird ein hübsches Kind!“
Das war wirklich sehr freundlich von ihr, denn ich war völlig verschrumpelt, hatte ein schwarzes Fell am Körper und eine käseweiße Haut, auf der sich überall rote Stellen und blaue Flecken abzeichneten. Mutter selbst hatte nach der Geburt kaum die Kraft, mich zu begutachten. Mama Bisi betreute die geschwächte Wöchnerin und mich liebevoll und half uns über die ersten schweren Tage mit ihrer Kräutermedizin.
Vater besah sich jedes seiner Kinder ausgesprochen gründlich am Tag nach der Geburt. Die Zeremonie der Namensgebung fand allerdings erst 14 Tage später statt, wenn das Risiko des frühen Kindstods etwas geringer war. Über mein Aussehen muss er ziemlich entsetzt gewesen sein, denn der Name, den er mir entgegen seiner üblichen Vorgehensweise gleich bei unserer ersten Begegnung verlieh, mutet etwas trotzig an: Gott hat mich gemacht. (So lautet mein tatsächlicher Name in der Sprache des Volks meines Vaters.) Irgendwie klingt das in meinen Ohren so, als wollte Vater sagen: Ich kann nichts für Chogas Aussehen! Ausgerechnet ich wurde als eine der Ersten im neuen Gemeinschaftshaus zusammen mit drei anderen getauft. Mama Bisi wurde meine Patentante, Ada ebenfalls.
Ada ist ganz anders als Bisi, allein schon äußerlich: Sie ist fast hager, und hat riesige Hände, die ganz schwielig sind. Denn Ada liebt es, hart zu arbeiten. Sie hat einige der Häuser auf Vaters Grundstück mit erbaut. Meine Patentante redet nicht viel, hört aber gern zu, wenn andere erzählen. Irgendwann sagt sie dann einen Satz, nur einen einzigen, der aber alles zusammenfasst, was die anderen mit tausend Wörtern ausgedrückt haben. Wer nicht warten kann, bis Ada endlich etwas sagt, der hält sie für etwas dumm. Womit man ihr sehr Unrecht tut. Aber ich glaube, es ist ihr ziemlich egal, was die anderen über sie denken. Ada stammt aus einem sehr kargen Landstrich im Norden. Ihre Familie zog zeit ihres Lebens mit den Tieren auf der Suche nach Weideland herum. Vielleicht hat sie dadurch gelernt, dass man im Leben Geduld braucht, bis sich die Dinge fügen.
Als Kind glaubte ich immer, dass die kleine runde Bisi ganz jung sei und Ada schon sehr alt. Später fand ich dann heraus, dass es genau umgekehrt ist. Vater hat Ada nur vier Jahre vor Mutter geheiratet. Sie war seine 28. Frau und ist heute erst etwa 50 Jahre alt.
Doch nun wieder zu mir. Bisis Optimismus war berechtigt gewesen: Ich, der
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