02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
wie erwartet zu unterstützen, sagte sie nur: „Ist doch toll, wenn sie dir helfen wollen.“
Am Tag der Abreise fiel mir der Abschied von Sue am schwersten. „Du musst gut auf sie aufpassen“, ermahnte ich immer wieder Mama Ada. Bis Mutter mich mit einem Lächeln darauf hinwies, dass Mama Ada schließlich Susans Mutter sei! Aber ich hatte so ein seltsames Gefühl.
„Choga kommt bald wieder“, versprach ich meinem Schwesterchen.
„Choga wieder“, sagte Sue. Wenn ich gewusst hätte, dass ich sie zum letzten Mal sprechen hörte, hätte ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, fortzufahren.
Für die Fahrt nach Lagos wurde diesmal ein anderer Weg gewählt, was ich an den unterschiedlichen Familien erkannte, die wir besuchten. Wir steuerten Farmen an, die wie unsere unterhalten wurden, um landwirtschaftliche Produkte herzustellen, die dann auf Märkten verkauft wurden. Wie bei uns litten auch die anderen Familien unter der Trockenheit der Böden, obwohl die Flüsse durchaus Wasser führten. Aus Mutters Gesprächen mit den Leitern der Farmen, den Vorständen der Familien, die ich stets belauschte, erfuhr ich, dass unbedingt Bewässerungssysteme benötigt wurden, vor allem Pumpen, um die Felder fruchtbarer zu machen.
Die Farmer behandelten Mutter mit großer Ehrfurcht, denn sie wussten, dass Mutter in den nächsten Tagen nach Deutschland reisen würde, um genau solche Geräte zu besorgen. Wir drei wurden sehr freundlich behandelt, denn meine beiden Mamas hörten allen Farmern geduldig zu und beendeten die Gespräche schließlich mit einem wichtigen Satz: „Wir werden Papa David eure Probleme vortragen, damit er für eine Lösung sorgt.“
Der Tagesablauf im Harem hatte sich kaum verändert. Mama Patty und Mama Felicitas hatten zugestimmt, dass Papa David in der Zwischenzeit zwei neue Frauen heiratete. Wir wurden von den Mitfrauen meiner Mamas und meinen Schwestern eher verhalten begrüßt. Sie waren uns gegenüber ein wenig misstrauisch und neideten uns wohl die Sonderrolle, die wir in ihren Augen einnahmen. Niemand traute sich so recht, uns Fragen über das Landleben zu stellen, und so kehrte schnell wieder der Stadtalltag in mein Leben ein. Vom Mangel, den wir auf dem Land so deutlich gespürt hatten, merkte man in Lagos nichts. Sogar ein neues Haus war errichtet worden. Und wie früher gab es reichlich zu essen; ausgehungert stürzte ich mich auf die reichlich vorhandenen Leckereien. Als wollte ich nachholen, was mir in Jeba gefehlt hatte.
Von meinen beiden Mamas sah ich nicht mehr viel. Sie verbrachten viel Zeit bei Papa David, worauf sie ein Anrecht hatten. Ich war inzwischen zehn und lebte wieder im Kinderhaus, diesmal aber in einem anderen Trakt, der den älteren Mädchen vorbehalten war. Meine Schwestern hatten sich ebenso wie ich verändert. Viele von denjenigen, mit denen ich groß geworden war, kamen entweder allmählich in die Pubertät oder führten sich gar schon wie Fast-Erwachsene auf. Manchmal fühlte ich mich richtig einsam. Meine Erfahrungen in Jeba interessierten hier niemanden. Ich gab bald auf, meinen Schwestern vom Landleben erzählen zu wollen. Andererseits konnte ich mit ihren Schönheitstipps nicht viel anfangen und ihren Gesprächen nur als dumme Zuhörerin lauschen, die nicht verstand, wovon sie sprachen.
Plötzlich bemerkte ich auch die Mauern, die das Grundstück umgaben. Mir fehlte die klare Luft, ich roch die Abgase der Autos und störte mich an ihrem lauten Hupen. Die kümmerlichen
Büsche im Garten, die ich als kleines Kind für prächtige Gewächse gehalten hatte, taten mir nur noch Leid. Mama Bisis Einfluss machte sich bemerkbar. Ich begann mit den Blumen zu sprechen, verwöhnte sie mit Wasser, von dem es auf der Farm zu wenig gab. Meine Schwestern lachten über meinen Pflanzentick und machten Bemerkungen über mein Beinproblem.
Mit einem Satz: Meine Heimat im Harem war mir recht fremd geworden. Ich hatte Heimweh nach Sue und Corn, die mich brauchten. Im Harem hatte ich nichts zu tun. Meine einzige Rettung war die Schule, die ich lieber besuchte als je zuvor. Und natürlich die Familienfeste, bei denen ich singen durfte, während Papa David in der ersten Reihe saß und mich mit wohlwollendem Blick bedachte. Hinterher lobte er meine schöne Stimme und mein gepflegtes Aussehen, fragte, ob ich mich auf der Farm wohl fühlte.
„Es ist herrlich dort!“, platzte ich heraus.
„Das klingt ja fast so, als ob es dir hier nicht so gut gefällt.“ Vater sah mich aus
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