02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
seinen großen, gütigen Augen an.
„Doch, doch .. aber wir haben dort einen Hund und der fehlt mir“, fiel mir gerade noch rechtzeitig ein. Schließlich wusste ich, dass Papa David der Harem über alles ging!
„Ich habe davon gehört, wie du um Corns Leben gekämpft hast, kleine Choga.
Ich habe diese Geschichte allen erzählt, die ich getroffen habe. Denn wir müssen jedes Lebewesen achten“, sagte Vater und küsste meine Stirn. Es kam wirklich selten vor, dass Papa David eines seiner Kinder auf diese Weise aus der Menge der anderen hervorhob. In unserer Welt, in der alle gleich waren, bedeutete ein Kuss des Vaters so viel wie ein Ritterschlag.
Einige Tage später kam gegen Mittag Mama Bisi zu uns Mädchen. Es war während der Stunden der Ruhe, in denen es zu heiß zum Lernen und Arbeiten war. Sie brachte mich zu Mutters Wohnung. Im ersten Augenblick erkannte ich Mutter kaum wieder: Sie trug einen knielangen Rock und eine weiße Bluse; das helle, zu einem Knoten im Nacken gebundene Haar bedeckte ein dünner weißer Schal. Ich starrte sie entgeistert an.
Sie sah wunderschön aus. Ganz anders als in den weiten weißen Gewändern, mit denen wir uns sonst verhüllten. Sie hatte sich in eine Europäerin verwandelt. Ich hatte sie nie zuvor so gesehen, denn Mutter wollte keine Sonderrolle einnehmen und vermied es, dass die Mitfrauen sie in westlicher Kleidung sahen. Deshalb hatte Mama Bisi mich zu ihr geführt.
„Choga Regina, ich werde jetzt zum Flughafen gebracht“, sagte Mutter. „Ich weiß nicht genau, wann ich wieder zurück bin. Du musst mir versprechen zu tun, was dir gesagt wird. Auch wenn du anderer Meinung bist. Du kannst dich erinnern, dass wir in Jeba über deine Schwierigkeiten beim Gehen gesprochen haben. Dein Vater hat zugestimmt, dass du im Krankenhaus behandelt wirst.
Also sei bitte brav und folgsam. Mama Bisi wird bei dir bleiben und auf dich aufpassen.“ Meine Patentante nickte mir aufmunternd zu.
Ich blickte auf das Bild meiner deutschen Schwester Magdalena, neben dem Mutter stand. „Kann ich nicht mitkommen nach Deutschland?“, fragte ich zaghaft. Mutters Antwort bestand aus einem stummen Schütteln ihres Kopfes.
„Bitte, Mama“, versuchte ich noch einmal. Sie ließ sich nicht erweichen.
Heute weiß ich, dass Mutter auch diesmal meinen Vater darum ersucht hatte, mich in ihre Heimat mitnehmen zu dürfen, um mich dort operieren zu lassen.
Doch er hatte sich geweigert; zum einen, weil ich keine Papiere hatte (ein Problem, das man leicht hätte lösen können), zum anderen, weil er nicht wollte, dass ich durch eine Auslandsreise eine Sonderbehandlung genoss, die den anderen Kindern gegenüber unfair gewesen wäre.
Dafür hatte ich Verständnis und beharrte nicht länger auf meinem Wunsch.
Allein die Tatsache, dass Vater mich anderntags in ein riesiges modernes Krankenhaus bringen ließ, war schließlich schon ein unglaubliches Privileg.
Zwar hatte er mir während des Familienfests seine Zuneigung offen gezeigt, aber heute weiß ich, dass Mutter dennoch die treibende Kraft hinter diesem Schritt war.
Schon die Größe der Klinik ängstigte mich. Ich wurde natürlich sofort von Mama Bisi getrennt, die wieder nach Hause zurückgehen musste. Die Ärzte untersuchten mich mehrmals und von all dem ist mir am besten in Erinnerung geblieben, dass ich mich dafür vor lauter fremden Männern entkleiden musste.
Ich schämte mich entsetzlich und wäre am liebsten davongelaufen -was ich auch einmal versuchte. Aber schon an der dritten Tür scheiterte ich, weil ich nicht erkannte, dass sie aus Glas war: Ich rannte mit dem Kopf dagegen und zog mir eine Platzwunde zu.
Schließlich erschien Vater persönlich. Es war das erste Mal, dass er sich um meine Gesundheit direkt kümmerte. Man hatte ihn wohl gerufen, um ihn über die Operation, die die Ärzte vornehmen wollten, zu informieren. Das Ergebnis ließ mich aufatmen: Papa David packte mich in eines seiner großen Autos und wir fuhren zurück zum Harem. Die Operation war ersatzlos gestrichen worden.
Sie hätte mehr gekostet, als 20 Männer in einem Jahr verdienen. So erklärte mir Mutter es nach ihrer Rückkehr Wochen später. Das sah ich ein. Denn wenn Vater mich hätte operieren lassen, hätte er mehrere meiner Geschwister auf die gleiche Weise behandeln lassen müssen. Das wäre unbezahlbar gewesen.
Dass Mutter über Vaters Entscheidung in Wirklichkeit sehr empört gewesen ist, habe ich erst über zehn Jahre später von ihr erfahren. Durch
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