02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
Kopf pochte der Schmerz. Ich spürte gleichzeitig Wut und Ohnmacht stärker denn je. Was für ein Leben würde mich im Harem erwarten? Es konnte nur noch trostloser sein. Dort hatte ich nicht einmal mehr die Natur, meine Pflanzen, denen ich beim Wachsen zusehen konnte. Und sobald ich mein Kind nicht stillte, könnte Felix mich wieder wie seine Ehefrau behandeln. Wer sollte mir beistehen? Mit Vaters Tod verlor auch Mutter ihre einflussreiche Position.
Ich gebe zu, dass meine Reaktion auf Vaters Tod sehr egoistisch war. Aber irgendwie glaubte ich, das Recht dazu zu haben. Meiner Überzeugung nach hatten Kinder für meinen Vater eine Funktion: Sie sollten seinen Einfluss vergrößern, seine Macht erhalten. Er hatte mich als sein Instrument benutzt, um sich Felix vom Leib zu halten. Mit seinem Tod war ich meinem Mann schutzlos ausgeliefert. Es war wie in dem Lied vom König Clown. Der Clown hatte alle Kronen, die der König nach ihm geworfen hatte, nun konnte er regieren .. Ich, eine dieser „Kronen“, fühlte mich wie nutzloser Schrott.
Jo fand mich in meinen tiefen Gedanken verloren vor dem Haus sitzend.
Natürlich sah er mein blaues Auge sofort. Er fragte mich, was geschehen sei, und ich erzählte ihm alles, bis hin zum Tod unseres Vaters und der Mitteilung, dass Felix den Harem leiten würde.
„Das ist nicht richtig“, sagte Jo und ballte die Hände zu Fäusten. „Vater durfte ihn nicht zum Oberhaupt der Familie machen. Dieser Mann ist es nicht wert, dass alle auf sein Wort hören.“
In unserer Aufregung hatten wir nicht mitbekommen, dass Felix seit einiger Zeit hinter uns stand. „Das ist also deine Meinung“, zischte er mit dieser gefährlich leisen Stimme, die den nächsten Wutausbruch ankündigte.
Jo stand auf und drehte sich zu ihm um: „Papa David war ein Vorbild. Du aber bist ein Ehebrecher. Du schlägst Frauen. Du bist nicht so, wie das Oberhaupt unserer Familie sein sollte.“
„Und du steckst zu viel mit ihr da zusammen“, Felix zeigte auf mich, „sie erzählt dir Lügen über mich und du glaubst sie.“
Mein großer Bruder, der immer so besonnen war, stürzte sich wie von Sinnen auf Felix und packte ihn mit seinen großen Händen hart an seiner Baba Riga.
„Und ihr blaues Auge? Ist das auch gelogen?“
Felix stieß ihn weg. „Du hast nicht das Recht, mich das zu fragen. Ich bin ihr Mann, nicht du.“ Unvermittelt schlug er einen sanfteren Ton an. „Hör zu, Jo, jetzt ist nicht der Zeitpunkt zum Streiten. Wir müssen für Papa David eine große Totenfeier in Lagos ausrichten. Lass uns zusammen aufbrechen und Wild jagen.
Er war dein Vater, du bist es ihm schuldig, seine Gäste vornehm zu bewirten.“
Jo zögerte einen Augenblick. Es kam sehr selten vor, dass Felix zum Jagen ging.
Er nahm dann meist wohlhabende Männer aus dem Dorf mit, die ihn bezahlten.
Dass mein Bruder, der einfache Arbeiter, ihn diesmal begleiten durfte, kam einer Auszeichnung gleich. Und der konnte er trotz des vorangegangenen Streits nicht widerstehen.
Am frühen Nachmittag bestiegen die beiden unterschiedlichen Männer Felix'
Lastwagen. Jo saß auf der Ladefläche, hielt ein Gewehr in Händen und winkte mir verhalten zu. Der Lastwagen rumpelte quer durch das hüfthoch stehende Gras davon.
Im Haus herrschte schon den ganzen Tag Unruhe: Alle Frauen packten weisungsgemäß ihre Sachen zusammen. Sie waren guter Stimmung und freuten sich darauf, in die Stadt zurückzukehren. Ich hatte sie lange nicht so ausgelassen gesehen. Für
sie war der Abschied eine Freude. Meine Unruhe trieb mich hingegen über die Felder, der alte Corn an meiner Seite. In aller Ruhe verabschiedete ich mich von meinen Lieblingspflanzen, füllte ein paar Kisten mit grünen Tomaten, Bohnen und was ich sonst zum Haus tragen konnte. Viel war es nicht. Nur der kindische Versuch, den schönsten Teil meines einstigen Paradieses einzupacken und mitzunehmen.
Natürlich wollte ich noch einmal mit Mutter sprechen und fragen, ob Jo sie erreicht hatte, wollte versuchen, mein Schicksal zu beeinflussen. Doch Felix hatte sein Zimmer abgeschlossen, unerreichbar stand das Telefon darin. Ich überlegte nicht zum ersten Mal, ob ich nicht einfach seine Abwesenheit nutzen sollte, um wegzulaufen. Doch wohin? Schwanger, durch mein Bein daran gehindert, weite Strecken ohne Pausen zurücklegen zu können. Auf mich allein gestellt in der bald hereinbrechenden Dämmerung. Ich konnte nirgendwohin.
Um mich herum war zwar das weite Land, das ich so mochte, doch
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