02_In einem anderen Buch
Frauenbewegung und Haushaltsgeräten, als sich Miss Havisham rührte.
»Compeyson –« murmelte sie noch im Halbschlaf. »Du lügnerischer, diebischer Schweinehund!«
»Miss Havisham?« sagte ich.
Sie verstummte und öffnete ihre Augen. »Next, mein Mädchen!« keuchte sie. »Ich brauche –«
»Ja?« fragte ich und beugte mich zu ihr herunter.
»–eine Tasse Tee.«
»Mach ich sofort!« sagte Mr Cullards vergnügt und füllte die
Tasse erneut. Miss Havisham setzte sich auf, trank drei Tassen
Tee und aß auch den Keks, den Mr Cullards seit seinem Geburtstag im Mai für eine besondere Gelegenheit aufbewahrt
hatte. Miss Havisham bedankte sich höflich und erklärte, wir
müssten jetzt gehen.
Wir verabschiedeten uns; ich musste Mr Cullards noch ausdrücklich versprechen, die Waschmittelschublade meiner
Maschine zu säubern, dann durften wir gehen.
Der kurze Trip in die Nonfiction-Abteilung der Großen Bibliothek war ein leichter Sprung für Miss Havisham, und von da
aus forpten wir in das schmutzige Esszimmer in den Großen
Erwartungen, wo der Warrington-Kater und Harris Tweed auf
uns warteten. Der Kater schien erleichtert, uns wieder zu sehen,
aber Harris, der sich mit Estella unterhalten hatte, verzog bloß
das Gesicht.
»Estella!« sagte Miss Havisham scharf. »Bitte sprich nicht mit
Mr Tweed.«
»Jawohl, Miss Havisham«, sagte Estella demütig.
Miss Havisham zog ihre Turnschuhe aus und zwängte sich
wieder in ihre Brautschuhe.
»Pip wartet draußen auf mich«, sagte Estella nervös. »Entschuldigen Sie, Ma'am, aber Sie kommen einen ganzen Absatz
zu spät.«
»Dann muss Dickens eben noch ein bisschen herumschwafeln«, sagte Miss Havisham ungnädig. »Jetzt muss ich erst mal
Miss Next verabschieden.«
Sie wandte sich mit grimmigem Gesichtsausdruck zu mir
um, und ich überlegte hastig, was ich tun könnte, um ihrem
Zorn zu entgehen. »Vielen Dank, dass Sie mich da rausgeholt
haben«, sagte ich. »Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Pah!« sagte Miss Havisham. »Denk bloß nicht, dass ich dich
jedes Mal rette, wenn du in der Klemme steckst, Mädchen. Aber
jetzt sag mal, was ist das für eine Geschichte mit einem Baby?«
Der Kater merkte, dass ein Gewitter im Anzug war, erklärte,
er müsse dringend »katalogisieren« und verschwand wie der
Blitz. Sogar der mutige Tweed murmelte, er wolle Lorna Doone
auf Grammasiten untersuchen und machte sich dünn.
»Na?« fragte Miss Havisham. »Was ist?«
Ich fürchtete mich nicht mehr ganz so wie früher vor ihr,
und so beschloss ich, ihr endlich alles zu gestehen. Ich erzählte
von Landens Nichtung, von der Erpressung durch Goliath und
sogar von Mycrofts ProsaPortal. Und um die Sache abzurunden, erklärte ich ihr noch, wie sehr ich meinen Mann liebte und
dass ich alles tun würde, um ihn wieder zurückzubekommen.
»Aus Liebe? Pah!« sagte sie und schickte Estella hinaus, damit das junge Mädchen nicht auf dumme Gedanken kam. »Und
was ist das deiner tragisch beschränkten Ansicht nach?«
Sie schien aber nicht wirklich wütend zu werden, deshalb
sagte ich: »Ich glaube, das wissen Sie, Ma'am. Sie waren doch
auch mal verliebt, oder?«
»Quatsch!«
»Ist der Schmerz, den Sie jetzt spüren, nicht das Äquivalent
der Liebe, die Sie damals gespürt haben?«
»Hüte dich! Du bist gerade dabei, meine Regel Nummer
Zwei zu verletzen!«
»Ich werde Ihnen sagen, was Liebe ist«, sagte ich, »es ist blinde Hingabe, fraglose Selbsterniedrigung, völlige Ergebenheit, es
ist Vertrauen und Glaube – der eigenen Person zum Trotz und
der ganzen Welt.«
»Gar nicht schlecht«, sagte Miss Havisham und sah mich
neugierig an. »Darf ich das verwenden? Dickens hat bestimmt
nichts dagegen.«
»Ja, natürlich.«
»Ich glaube«, sagte Miss Havisham nach kurzem Nachdenken, »dass ich deinen komplizierten Familienstand als verwitwet
kategorisieren werde. Außerdem bin ich zu dem Ergebnis
gekommen, dass du – wenn auch gegen meine bessere Einsicht
– weiterhin bei mir in die Lehre gehen darfst. Das wäre alles. Du
wirst gebraucht, um den Cardenio zurückzuholen. Geh jetzt!«
Also ließ ich Miss Havisham in ihrem dunklen Zimmer mit
den Überresten einer Hochzeit zurück, die niemals stattgefunden hatte. Ich kannte sie erst seit wenigen Tagen, aber ich
mochte sie sehr und ich hoffte, dass ich einmal so tapfer wie sie
werden und ihre Freundlichkeit würde zurückzahlen können.
30.
Cardenio wieder eingefangen
SeitenLäufer: Jede Figur, die
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