02_In einem anderen Buch
»Was ist, wenn –«
Ich erklärte es noch einmal, und da lächelte er.
Daraufhin wandte ich mich an Volescamper und Kaine. »Einer von euch ist also fiktional«, sagte ich.
»Und wir müssen herausfinden, wer«, sagte Harris und hob
seine Pistole.
»Es könnte Mr Kaine sein –«, sagte ich und starrte den eleganten Politiker an, der wütend zurückstarrte und sich wahrscheinlich fragte, was wir wohl vorhatten.
»–der fragwürdige Populist –«
»–oder sagen wir lieber gleich Nazi –«
»–der so geil auf Eroberungskriege ist –«
»–und die Menschenrechte abschaffen will.«
Harris und ich warfen uns gegenseitig die Dialogzeilen zu,
immer schneller und schneller, während das Ungeheuer auf die
Bibliothekstür und Raffles auf den Tresor einhämmerte.
»Oder ist es doch Volescamper –«
»–der Lord des alten Königreichs, der –«
»–wieder an die Macht kommen will –«
»–mit Hilfe seiner Whig-Freunde ?«
»Aber viel wichtiger –«
»–bei diesem Dialog –«
»–der so munter –«
»–zwischen uns hin und hergeht –«
»–ist natürlich, dass eine fiktionale Person –«
»–wahrscheinlich den Faden verloren hat –«
»–und nicht mehr weiß –«
»–wer von uns gerade spricht.«
»Und wissen Sie, was das Komische ist? Ich weiß es schon
beinahe selbst nicht mehr richtig!«
Wieder krachte das Biest an die Tür, ein Metallsplitter fegte
haarscharf an meinem Ohr vorbei. Beide Türen waren fast
offen, und in wenigen Sekunden würde das Entsetzliche uns
vernichten.
»Deshalb stellen wir Ihnen eine einfache Frage: Wer von uns
spricht gerade?«
»Sie!« brüllte Volescamper und zeigte – zutreffenderweise –
auf mich. Kaine allerdings hatte tatsächlich den Faden verloren
und zeigte auf Harris. Er korrigierte sich hastig, aber es war
schon zu spät. Wir wussten jetzt, dass er fiktional war. Nur im
Roman oder im Theaterstück muss man dazusagen, wer gerade
spricht.
Und er wusste, dass wir ihn durchschaut hatten. Die Maske
des geschmeidigen Politikers fiel von ihm ab, er zitterte und
nackte Wut zeigte sich in seinem Gesicht. Dennoch machte er
einen letzten Versuch, sich zu retten. »Hören Sie«, fauchte er.
»Ihr zwei steckt bis zum Hals in der Scheiße. Wenn ihr versucht, mich zu verhaften, sorge ich dafür, dass es euch schlecht
geht. Ein Anruf mit dem Fußnotofon, und ihr zwei könnt bis in
alle Ewigkeit im OED Streife gehen und Grammasiten verscheuchen.«
Aber davon ließ Tweed sich nicht einschüchtern. »Wissen
Sie, ich habe schon in Dracula und Biggles gearbeitet«, sagte er
lässig. »Ich bin nicht so leicht zu erschrecken. Sagen Sie jetzt
dem Glatisant, er soll sich verziehen, und legen Sie beide Hände
auf Ihren Kopf.«
»Lassen Sie mir den Cardenio«, sagte Kaine und lächelte
mühsam, »wenigstens noch bis morgen. Ich gebe Ihnen dafür,
was Sie wollen: Macht, Geld, eine Grafschaft, ganz Cornwall. Sie
dürfen Romanheld bei Hemingway werden – das kann ich über
das AustauschProgramm arrangieren. Sagen Sie mir einfach
nur, was Sie wollen – Kaine sorgt dafür, dass Sie es kriegen!«
»Es gibt nichts mehr zu verhandeln«, sagte Tweed, und seine
Pistole zeigte direkt auf Kaines Magen. »Ich sage es zum letzten
Mal –«
Aber Kaine hatte nicht die Absicht, sich verhaften oder erschießen zu lassen. Er verfluchte uns in den zwölften Kreis der
Hölle und löste sich im selben Sekundenbruchteil in Nichts auf,
als Tweed feuerte. Die Kugel bohrte sich als harmloser Blind-gänger in einen Jahrgang gebundener Punch-Hefte. Gleichzeitig
flog die Stahltür der Bibliothek auf.
Aber statt eines grässlichen Ungeheuers aus den Tiefen einer
verkommenen Vorstellungskraft, das uns alle verschlingen
würde, fegte bloß ein eisiger Windstoß herein, der nach Tod
roch. Das Questing Beast war genauso schnell wie sein höllisches Herrchen zurück in die mündliche Überlieferung und die
wenigen Bücher verschwunden, die heute noch Spuren von ihm
tragen.
»Kater!« brüllte Harris und steckte seine Pistole zurück in ihr
Halfter. »Wir haben einen gefährlichen SeitenLäufer. Ich brauche dringend einen BuchHund.« 26
Volescamper ließ sich auf einen Stuhl sinken und sah gebührend verwirrt aus. »Soll das heißen«, stammelte er, »dieser
Kaine war –?«
»–vollkommen fiktiv, ja«, sagte ich und legte ihm zur Beruhigung die Hand auf die Schulter.
»Heißt das, der Cardenio gehörte überhaupt nicht zur Bibliothek meines
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